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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 9.1891

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Nr. 6
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Keppler, Eugen: Phantastische, scherz- und boshafte Gebilde mittelalterlicher Kunst, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15908#0059

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52

der christliche, ein Sinnbild und darum
in gewisser Weise auch Nachbild des
Weltalls ist. „Als in den ersten Schöpf-
ungstagen (sagt Görres) das Feste von
dein Erdgewässer geschieden war, da eut-
sproßte den trocken gelegten Höhen des
Paradieses die Pflanzenwelt; darauf regte
sich Leben in zahlreichen Thiergeschlechtern,
und znletzt erschien der Mensch, die Krone
des ganzen Werkes. So ist des Künstlers
Wort auch zuerst in den großen archi-
tektonischen Formen des Baues Stein ge-
worden; dann kommt überall ans den
höchsten Kanten der Bauglieder das pflau-
zeuhaft Sprossende znm Vorschein —
darum erscheint namentlich der höchste First
des Daches wie in Stein bemoost und die
Kanten und Helme von Thurm und
Thürmcheu und der Spitzgiebel sind aller-
wärts ausgeblattet. . . Wie aber am
reichsten die änßere, die Natnrseite des
Gebäudes in Lanb und Blnmen aufge-
gangen, so sind auch die Thiergestalten
ansschließlich ans diese hingewiesen" (vgl.
Görres, Dom von Köln S. 123 ff.).
A u s s ch l i e ß lich, ja, an gothischen Kir-
chen, die oft außen ein ganzes Gewimmel
solcher Gebilde zeigen, innen aber nicht
ein einziges. Dazwischen haben auch Sta-
tuen in den äußeren Nischen Platz, aber
mit Auswahl: die Standbilder volks-

thümlicher und Lokal-Heiliger; der Stifter
und Wohlthäter; des Landesfürsten (vgl.
Krenser, Kirchenb. 1. Bd. S. 572). Die
eigentlichen Verkünder und Zeugen der
Offenbarung aber gehören in's Innere,
welches „vorzugsweise wie menschlichen
Zwecken zugeeignet, so auch menschlichen
Gestalten eingeräumt ist", wie Görres sagt.
Also nicht wegen ihres heidnischen Beige-
schmacks (wie Viollet-Le-Duc meint) sind
diese Phantasieweseit und Ungeheuer auf
die Außenwände beschränkt — dieser war
nämlich längst durch das christliche Salz
unschädlich gemacht — sondern aus Gründen,
die sowohl aus der Zweckbestimmung des
Kircheu-Juneru als ans der Symbolik des
ganzes Baues fließen.

Nach dem Gesagten erkennt Krenser
(ebend. S. 569) mit Recht in den phan-
tastischen Gestalten imb Ungestalten auf
den Zinnen einen steinernen Lobgesang
ans den Schöpfer in bewußter Nachahmung
des 148. Psalms, beziehungsweise auch des

Gesangs der drei Jünglinge. Wie dort
der Psalmist alle Geschöpfe: wirkliche und
sagenhafte, himmlische und irdische, ver-
nünftige und unvernünftige, lebendige und
fühllose, bis zu den blinden Elementen
hinab zu einem Weltkonzert aufbietet: so
macht es hier, an diesem steinernen Nach-
bild des Weltbaues, die gläubige mittel-
alterliche Kunst, und was sie nicht darzu-
stellen vermag: Feuer, Hagel, Schnee, Eis,
Wassergetöse und Sturmgebrans, das gibt
die Natur freigebig hinzu. Allein diese
sichtbare Welt ist leider kein reingestimmtes
Loblied mehr, seit das Böse seinen Miß-
klang hat einfließen lassen. Es ist daher
nicht recht begreiflich, warum Krenser die
Erklärung, wonach gewisse „Thier- und
Fratzenwerke die höllischen Kräfte und die
Mächte der Finsterniß in ihren Mißge-
stalten" bedeuten, theilö unterworfen und
geknechtet, theils zum Angriff noch an-
itnb aufgelegt, im Namen der Schrift ab-
weisen zu sollen glaubt. Die Bibel selbst
warnt doch den Christeil vor Verführung
itnb vor dem Reiz der Sünde. Wenn der
Apostel zur Nüchternheit und Wachsamkeit
anffördert, weil der Teufel umhergeht wie
ein brüllender Löwe, so gibt er keine Zeit
an, zu der diese Mahnung gegenstandslos
sein könnte. — Ganz int Sinne der hl.
Schrift stellen die Väter die bösen Geister,
obschon sie wohl wissen, daß dieselben auch
Lichtgestalt annehmen können, als abscheu-
liche Wesen, als Böcke, Affen, Schweine,
Kröten, Schlangen, dar. Sie geben ihnen
auch die Gestalt von Vögeln, namentlich
von Krähen, welche mit Geräusch das
Sterbebett umflattern, tun sich der Seele
zu bemächtigen. Und diese im ganzen
Mittelalter landläufigen Vorstellungen
füllten nicht in gewissen Ungeheuern von
Wasserspeiern ihren Ausdruck gefunden
haben? — Ebenso gewiß, als in den
schmerzhaft verzerrten Zügen anderer das
Seufzen und Ringen des Geschöpfes nach
Erlösung sich ansdrückt. Der Einfluß
des Fürsten der Finsterniß ist ja durch
Christus noch nicht gänzlich aus der Welt
geschafft, wemt auch dessen frühere Ob-
macht gebrochen worden, und noch jetzt, sagt
der Apostel, „harren die Geschöpfe wie in
Gebnrtswehen auf die Offenbarung der
Kinder Gottes". Die zwei letztereit Deu-
tungen, welche von der gefallenen Na-
 
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