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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 9.1891

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Nr. 7
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Keppler, Eugen: Phantastische, scherz- und boshafte Gebilde mittelalterlicher Kunst, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15908#0069

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Archiv für christliche Kunst.

Organ des Rottenburger Diözesan-Vereins für christliche Kunst.

Lserausgegeben und redigirt von Professor Or. Keppler in Tübingen.

Verlag des Rottenbnrger Diözesan-Rnnstvereins, für denselben: der Vorstand Professor Dr. Keppler.

Or. 7.

Erscheint monatlich einmal. Halbjährlich für Jl 2.05 durch die wnrttembergischen (Jl.1.90
tut Stuttgarter Bestellbezirk), ^2.20 durch die bayerischen und die Reichspostanstalten,
sl. 1.27 in Oesterreich, Frcs. 3.40 in der Schweiz zu beziehen. Bestellungen iverdcn
auch angenonnnen von allen Buchhandlungen, sowie gegen Einsendung des Betrags direkt
von der Expedition des „Deutschen Volksblatts" in Stuttgart, Urbansstraße 94, zum
Preise von Jt. 2.05 halbjährlich.

phantastische, scherz- und boshafte
Gebilde mittelalterlicher Kunst.

Von Stadtpfarrer Engen Keppler in Freudenstadt.

(Fortsetzung.)

Ein mittelalterliches Münster stellt ein
künstliches Weltgebäude dar, deshalb ent-
wächst ihm mit Recht eine Welt phan-
tastischer Gestalten. Weiterhin will es —
unbeschadet seiner höheren Zweckbestimm-
ung — eine Art volksthümlicher Encyklo-
pädie sein. Unter diesen Grundbegriff
fallen die oft wunderlichen Fratzen und
Schnaken, die Anklänge an Volkssage und
Volkssitte und allerlei schalkhafte Anspiel-
ungen ans Personen und Zustände, kurz
die witzigen und spitzigen Zuthaten, mit
denen der Meißel solche Bauten zu ver-
ziereu pflegte. Schon an mancher roma-
nischen Kirche gleichen die Skulpturen
fossilen Albumblättern, in denen wichtige
Ereignisse der Zeit- und Ortsgeschichte
verewigt sind. Einen ganzen Zeitspiegel
vollends, der nicht bloß einzelne Gescheh-
nisse widerspiegelt, sondern in die Volks-
seele selbst hinableuchtet und ihr geheimes
Weben und Regen erkennen läßt, haben
wir an den großen Kirchenbauten, welche
von Anfang des 13. Jahrhunderts an ins
Leben traten.

Es war die Zeit des Aufblühens der
Städtemacht im Kampf mit dem Feudal-
adel, zugleich die Zeit einer neuen kräfti-
gen Kunstentfaltung, und zwar in den Werk-
stätten von Laien. Solange die Künste in
den Klöstern eingeschlossen waren, standen
sie im Bann des Ueberlieferten, d. h. unter
dem näheren oder entfernteren Einfluß der
byzantinischen Kunst. Was die Mönche
vor der letzteren voraus hatten, verdankten
sie nur einem treueren Anschluß an die
Natur. Der Gedanke war sozusagen un-
ter althergebrachten Formen dogmatisiert.

Es war eine hieratische Kunst, die sich
nur nach der rein äußerlichen Seite selbst-
ständig zu machen strebte. Als aber die
Kunstübnng die Klosterschwelle überschrit-
ten und in der Werkstätte von Laien
Wurzel gefaßt hatte, gebrauchten diese sie
als ein Mittel, um lang unterdrückte Reg-
ungen kundzugeben, ihr Sehnen und Hoffen.
Sie standen unter keinem äußeren Zwange,
nicht unter dem eines Hofes, eines Macht-
habers, einer herrschenden Kunstrichtung.
Der Adel, den seine inneren Kämpfe, seine
Verwicklungen, mit der hohen Geistlichkeit,
mit den Klöstern und mit der königlichen
Gewalt nicht zu Atem kommen ließen,
konnte nicht daran denken, sich in die
inneren Angelegenheiten der Städte zu
mischen, der Städte, die ihm zuwider waren
und denen er am liebsten fern blieb. Daß
unter diesen Umständen die Künstlerznnft
des freiesten Spielraums sich erfreute und
sich nur von Erwägungen, die ihren eigen-
sten Fortschritt betrafen, leiten ließ, leuch-
tet ein. Wie hätte der Flügelschlag einer
neuen Zeit ihre Segel nicht schwellen, wie
hätte das sich regende Selbstgefühl der
Bürgerschaft, der ja die Künstler ange-
hörten, sie nicht begeistern und in ihrem
Schaffen nicht zum Durchbruch kommen
sollen? „So nahm unter den Fittigen
der Städte die Kunst sozusagen die Stelle
der Preßfreiheit ein, eines Ableitungs-
kanals für die gegen die Uebergriffe der
Feudalherrschaft sich auflehnenden Gemüter.
Die Gesellschaft sah in der Kunst ein
offenes Buch, darin sie unter der Hülle
des Religiösen ohne Scheu ihre Gedanken
und Gefühle einzeichnen konnte. Absicht
war wohl dieses nicht, aber es war ein
angeborner Trieb; der Trieb, welcher eine
eingeengte Menschenmenge nach der offenen
Thüre hindrängt." Die Bischöfe, welche
mit den Städten in dem Bestreben, sich
 
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