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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 9.1891

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Nr. 8
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Keppler, Eugen: Phantastische, scherz- und boshafte Gebilde mittelalterlicher Kunst, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15908#0079

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70

als vielmehr eine Personifikation der Ko-
mödie überhaupt, ein Sinnbild von allem
Lächerlichen nnd Burlesken. Von den Auf-
führnngen des Lustspiels gieug sie in die
römischen Volksbelustigungen und von die-
sen in den Mummenschanz des Mittel-
alters über. Schon frühzeitig war die
komische Maske so mit dem Volksleben
verwachsen, daß sie bei den Schmausereien
der Römer eine Rolle spielte und von den
Müttern als Schreckmittel für die Kinder,
von diesen wiedernm als ein Spielzeug ge-
braucht wurde. Aus dem Volksleben hielt
sie ihren Einzug in die römische Kunst
als ein sehr beliebtes Ornament für Lam-
pen, Schirmdächer nnd Dachrinnen, denen
man oft die Form von grotesken Masken,
von Fratzengesichtern mit riesigen, weit
aufgesperrten Nachen und andere Bildungen
nach Art der mittelalterlichen Wasser-
speier gab.

Derlei figürlicher Schmuck drang in
den letzten Zeiten des römischen Reichs
auch in die Baukunst ein und überwucherte
die alte Einfachheit immer mehr. Nun
ist aber die mittelalterliche Welt von der
römischen nicht so scharf abgeschnitten, daß
sie nicht Einflüsse von dort in sich anf-
geuommen hätte. Lassen sich auch diese
aus Mangel au Denkmälern im einzelnen
nicht mehr verfolgen, so sprechen doch
Thatsachen genug dafür, daß der Ueber-
gang kein unvermittelter war. Es ist kaum
zweifelhaft, daß die Kunstfertigkeit nnd die
Ausübung der Kunst nach dem Falle des
Reiches sich von dem Meister auf die
Lehrlinge vererbte. Wir müssen also an-
nehmen, daß die Verfertiger altchristlicher
Bauwerke in der heidnischen Schule ge-
bildet und zum Theil selbst Heiden waren.
Daß sie nun, dem Geist ihrer Schule
treu, die alten längst gewohnten Masken,
Fratzen und Ungestalten mit herübernah-
meu, ist nicht mehr als natürlich. Sogar
ihre allmähliche Bekehrung zum Ehristen-
thnm konnte sie nicht hindern, die ihnen
gelänfigen Motive, darunter selbst solche
von ausgesprochen heidnischem Geschmack,
theils treu, theils wieder mehr frei, bisweilen
mit geflissentlicher Verzerrung ins Lächer-
liche zur Belebung ihrer Bauten anzu-
weiide». Die ältesten und merkwürdigsten
Belege hiesür liefern uns Italien und
Südfrankreich, weil in diesen Ländern der

schrittweise Uebergang von der klassischen
zur mittelalterlichen Kunst am deutlichsten
zu Tage tritt nnd somit die Einwirkung
klassischer Formen leichter als anderswo
nachgewiesen werden kann. Sehr merk-
würdig ist in dieser Beziehung eine (bei
Wright, S. 46 abgebildete) Konsole aus
der Kirche von Mont-Majonr in der Pro-
vence aus dem 10. Jahrhundert. Das
Unterstück derselben, ein greulicher Kopf,
welcher ein Kind verschlingt, läßt keinen
Zweifel darüber, daß dem Steinmetzen ein
Zerrbild des kinderfressenden Saturn vor-
geschwebt haben muß.

Aber die paar antiken Typen des
Lächerlichen waren nicht das Einzige dieser
Art, was über den Strom der Völker-
wanderung geschwommen: Die mimi po-
puläres, der Römer, der sannio, der
manducus, der comoedus in höchst eigener
Person machten den Sprung und lebten
in den joculatores, pantomimi, mine-
stelli des Mittelalters lustig weiter. Die
Fratzen, die Kunststücke, Spottlieder und
Spottgeschichten, womit sie auf den Märk-
ten die Lachmuskeln reizten nnd in Burgen
und Schlössern einer „feineren" Gesell-
schast die Zeit vertrieben, haben tiefe
Spuren im mittelalterlichen Volksleben
zurückgelassen. Von ihrem Einfluß konnte
auch die Kunst nicht unberührt bleiben
und ob nun ein Maler einen Bücherrand
zu zieren oder ein Steinmetz einen Ban
zu schmücken hatte: die ersten Motive

auf die er verfiel, waren naturgemäß
den Darstellungen der Gaukler und den
Erinnerungen an solche entnommen.
Hatten doch beide Arten von „Künstlern"
dem gleichen Geschmack zu dienen: so
wurden auch beide vom selben Schalk ge-
geleitet. Es war natürlich, daß Leute,
denen es ein wirkliches Vergnügen machte,
ein Menschengesicht aus einem Pferde-
kummet hervorgrinsen zu sehen, sich von
Zerrbildern in Holz oder Stein ganz be-
sonders angesprochen fühlten, beispiels-
weise von den drei gelungenen Gesichtern
an einem Chorstnhl in Stratford am
Avon (abgebildet bei Wright S. 132).
Das eine derselben streckt eine maßlos
lange Zunge heraus, das andere begnügt
sich mit einer Grimasse, das dritte hat
eine Wurst zwischen den Zähnen, was
seine Züge auch nicht angenehmer macht.
 
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