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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 9.1891

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Nr. 8
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Detzel, Heinrich: Die alten Glasmalereien in der Frauenkirche zu Ravensburg
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https://doi.org/10.11588/diglit.15908#0087

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der Oberste des Kriegsheeres mit seinen Krie-
gern. Darauf bezieht sich auch die obige
Zuschrift, welche die zwei Propheten halten.
Man wollte nämlich in dieser Sage die
buchstäbliche Erfüllung der Weissagungen bei
Jsaias 19, 1 (vgl. auch Jerem. 43, 12 f.)
stndeu. Dieselbe ist auch uach ihrem Wort-
laut gauz geeignet, um zur Begründung die-
ser Legende verwerthet zu werden. Sie lautet:
aEcce Dominus ascendet super nubem levem,
et ingredietur Aegyptum, et commovebuntur
simulacra Aegypti a facie ejus, et cor Aegypti
tabescet in medio ejus.« (Siehe der Herr
fährt dahin auf leichtem Gewölle, und ziehet
uach Aegypten; da erbeben Aegyptens Götzen
vor Seinem Anblicke, und Aegyptens Herz
verzaget in seinem Innern.") Die vollkom-
mene Erfüllung dieser Weissagung trat in
der Zeit ein, als die Predigt des Evange-
littms in Aegypten eindrang, als die Städte
christlich wurden und die Wüsten sich mit
einer unzähligen Schaar voit Einsiedlern be-
völkerten. Da geschah die Zerstörung und
der Sturz der Götzenbilder! Wie ungemein
sinnreich ist also diese Darstellung in unserm
Fenster und wie hochwichtig auch für die
christliche Knust! Auch die Inschrift über
dieser Scene erinnert an den Sturz der
Götzenbilder: die illa disperdam nomina
ydolorum — ipse confringet (?) simulacra et
.. . . depopulabit; sie ist, wie mir scheint, eine
verstümmelte Wiedergabe von Zachar. 13, 2.

In der dritten Abtheilung dieses Fensters
sieht man den B ethleh em iti sch en Kin-
dermord. Links sitzt Herodes auf seinem
Throne und schallt dem blutigen Drama zu.
Tie Handlung ist schon ziemlich lebhaft ge-
geben: man sieht, wie die Soldaten die
Kinder den Müttern mit Gewalt entreißen
und sie durchstechen. Eigenthümlich erscheint,
daß sich rechts eine Frau von der Scene
abkehrt und ruhig und unbehelligt von den
Soldaten ihr lebendes Kind auf den Armen
davon trägt. Wer ist daS? Das Proto-
evangelium Jakobus des Jüngeren berichtet,
daß Maria, bei der Nachricht von dem Morde
der Kinder von Schrecken ergriffen, mit
Joseph das Kind genommen habe und uach
Aegypten gezogen sei, wie ihnen gesagt wor-
den. Elisabeth aber, wie sie von der
auch dem Johannes drohenden Gefahr
hörte, nahm ihn, gieng auf das Gebirge und
schaute sich nach einem Ort um, wo sie ihn
verbergen konnte, fand aber keinen. Da
sprach sie seufzend: „Berg Gottes, nimm die
Mutter auf mit dem Kinde!" Sogleich
öffnete sich der Berg und nahm sie auf.
Und es erschien ihnen ein Licht, denn der
Engel des Herrn war bei ihnen und be-
schützte sie. Während diese Legende von

mittelalterlichen Künstlern mitunter ausführ-
lich geschildert wird, sehen wir sie hier ein-
fach dadurch angedeutet, daß Elisabeth ihr
Kind von der blutigen Scene unbehelligt
fortträgt. Ein sehr einfacher, aber vielsagender
Zug in der Darstellung unseres Künstlers.

Die vierte Abtheilung zeigt den Aufent-
halt der hl. Familie in Aegypten:
links sitzt die hl. Jungfrau an einem Spinn-
rocken und spinnt, das Christuskind geht
ihr mit einem ausgeschlagenen Buche ent-
gegen; rechts der hl. Joseph, hinter ihm die
zwei Thiere, die mau sonst nur im Stalle zu
Bethlehem sieht, darüber vier Engel.

Die fünfte Abtheilung enthält wieder eine
seltene Darstellung, nämlich die Rückkehr
der hl. Familie nach Nazareth. Links
erscheint der Engel dem hl. Joseph und
spricht: Kehre zurück in das Land Juda,
denn es sind gestorben, die dem Kinde nach
dem Leben trachteten. Rechts sieht man,
wie bereits Maria mit dem Kinde aus dem
Lastthiere sitzt und heimwärts reitet.

Die oberste Abtheilung endlich hat den
12jährigen Jesus im Tempel: links
erkennt mau den Christusknaben an dem
Kreuzesnimbus; er sitzt mit einem aufge-
schlagenen Buche in den Händen aus einem
Throne und spricht mit einem Schriftgelehr-
ten, der vor ihm steht; rechts verschiedene
Pharisäer und Schriftgelehrte, die theilS
sitzend theils stehend Bücher in den Händen
haben; die Komposition ist schon ziemlich
lebhaft.

Das ist der Inhalt der alten Glasmale-
reien in der Ravensburger Frauenkirche, der
meines Wissens bisher noch nicht vollständig
entziffert worden ist. Allerdings sind auch
die Scenen nicht so leicht auf den ersten
Anblick zu erkennen, da sie einestheils meist
uach den apokryphischeu Nachrichten behan-
delt sind, anderntheils aber manche Begeben-
heiten bloß mit wenigen Figuren angedeutet
sind. Es ist nun vor allem ganz unzweifel-
haft, daß alle diese aufgeführteu Scheiben
aus einer und derselben Fabrik hervorge-
gangen sind, und zwar zu einer und der-
selben Zeit. Alle die Gemälde, sowohl in
den Einzelsiguren als in den scenischeu Dar-
stellungen, tragen durchaus denselben Typus
und sind so zu sagen uach ein er Schablone
gearbeitet. Ihre technische Behandlung weist
sie noch jener älteren Periode der Glas-
malerei au, welche mehr Glasmosaik als
Glasmalerei zu nennen ist. Jede Scheibe
zeigt nur einerlei Farbe, wir sehen noch
nirgends eine Spur der späteren Glasmaler-
technik, wo durch Wegschleisen des dünnen,
rothen Ueberfangglases verschiedene Farben
aus dieselbe Scheibe aufgetragen werden konn-
 
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