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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 9.1891

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Nr. 9
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Neue Beiträge zur Frage der Caselform, [4]: in Württemberg erhaltene mittelalterliche Caseln
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Keppler, Eugen: Phantastische, scherz- und boshafte Gebilde mittelalterlicher Kunst, [6]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15908#0091

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grund von sehr grober Leinwand ein dop-
pelter Goldfaden in etwa 15 dichtgefügten
Ringen nin einen Mittelpunkt geführt und
mit Ueberfangstichen in rother Seide fest-
gehalten ist. Diese Arbeit, eine nicht ge-
ringe Geduldprobe, namentlich weil der
Goldfaden sehr dünn ist, zeichnet sich durch
große Exaktheit ans; die Ueberfangstiche
sind so geführt, daß sie auf dem Kreis
eine hübsche Radienzeichnnng bilden; die
kleinen Zwickel zwischen den Kreisfiguren
find mit Seide mehrfarbig ansgestickt, der
Rand der Stäbe mit mehrfarbigen Seiden-
fäden und dem Goldfaden im Kettstich
schnnrförmig eingefaßt. Erst eine ganz
genaue Untersuchung ergab, daß wirklich
das Hauptmaterial der Kreisfiguren Gold-
faden sei; vom Glanz des Goldes ist ledig-
lich nichts mehr da, der Faden sieht schwarz
ans, oder, wo er abgenützt ist, gelb; bei
näherem Zusehen findet man, daß der gelbe
Seidenfaden mit einem zarten Häutchen
umsponnen ist, und an mehreren Stellen
konnte ich noch mit Bestimmtheit den vollen
Glanz des Goldes konstatiren; das Alter
hat den sehr schwachen Goldüberhauch ver-
dunkelt und geblendet.

2) Ein grünes Meßgewand ans stark
glänzender, glatter Seide ohne Dessin;
das Vordertheil stark verdorben; das kleinste
von allen, hinten 1,12 m, vorn 86 cm
lang, 86 cm breit; auf der Vorderseite
kein Stab. Die Rückseite schmückt ein 3,5
cm breites Kreuz, ganz mit Goldfäden
ausgelegt, und die 25 cm lange gestickte
Figur des Gekreuzigten. Die Herstellung
des Goldgrundes geschah in der Weise,
daß starke Goldfäden geradlinig in der
ganzen Länge des Haupt- und Querbalkens
dicht aneinandergelegt und mit rother Seide
so festgenäht wurden, daß die rothen Punkte
auf dem Goldgrund regelmäßige Figürchen
bilden. Im Lauf der Zeit haben trotz der
sorgfältigen Arbeit manche Fäden sich ge-
rollt und geworfen, aber unter dem los-
getrennten Heiligenschein sieht man noch
die volle Schönheit der ursprünglichen Ar-
beit. Ganz anders als beim vorigen Meß-
gewand haben auf diesem die Goldfäden
ihren Glanz gegen die Anschwärzung der
Zeit behauptet; aber das ist auch massives
Metallgold, welches in ziemlich breiten
Streifchen auf die Seidenfäden anfgerollt
ist. Die figürliche Stickerei, die durch

Unterlegung eines silzartigen Stoffes etwas
erhöht ist, ist stark verdorben und zeigt
Spuren späterer Ausbesserung; sie ist mit
fleischfarbener Seide auf ziemlich grobem
Linnengewebe in horizontal laufenden Platt-
stichen'ausgeführt. (Forts, folgt.)

phantastische, scherz- und boshafte
Gebilde mittelalterlicher Ärmst.

Von Stadtpfarrer Engen Keppler in Freudenstadt.

(Fortsetzung.)

Unter den sagenhaften Unthieren, die
das Mittelalter noch vollständig ernst
nahm, die übrigens theilweise einen realen
Hintergrund haben, steht bekanntlich der
Drache, diese Ausgeburt des uralten
Schlangensinnbilds, oben an. Diese phan-
tastischen Wesen waren tief mit der alt-
deutschen Götterlehre und mit der Volkö-
sage verwachsen. Deshalb winden und
ringeln sie sich ohne Ende um alle mög-
lichen Kunsterzeugnisse. Das Drachen-
ornament war bei allen deutschen Stämmen
das volksthümlichste. Als die Angelsachsen
anfiengen, ihre Handschriften zu verzieren,
mußte der Drache zu Randeinfassungen
und seltsamen Bnchstabenformen beständig
herhalten: wie geschickt und geistvoll, das
kann man z. B. an der Initiale V ans
der berühmten angelsächsischen Handschrift
des Cädmon ans dem 10. Jahrhundert
sehen (abgebildet bei Wright S. 49).

Nicht geringer als für das Lächerliche
war im Mittelalter die Vorliebe für das
Grausige, aber mitten in ihren Schrecken
kamen die mittelalterlichen Bildner immer
wieder auf das Groteske hinaus. Ueber-
haupt berührt sich das Monströse nahe
mitchem Grotesken (so schon bei Aegyptern,
Griechen, Römern), und beides gehört
ins Gebiet der Karikatur, wenn man
dies Wort in seiner umfassendsten Be-
deutung nimmt. Die mittelalterliche Kunst
weiß Folterwerkzeuge und schmerzersüllte
Gesichter oft mit packender Wahrheit dar-
zustellen. Die kirchliche Lehre und mehr
noch die landläufigen Vorstellungen über
die Höllenstrafen leisteten solchem Geschmacke
Vorschub. Wer Dante gelesen, begreift,
welchen Nutzen dichterische und künstlerische
Schilderung hieraus ziehen kann. Aben-
teuerliche Umschlingungen durch Drachen
und Schlangen, wie sie von dem Begriff
 
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