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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 9.1891

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Nr. 9
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Keppler, Eugen: Phantastische, scherz- und boshafte Gebilde mittelalterlicher Kunst, [6]
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Kreuzpartikel der Klosterkirche in Kirchheim (im Ries)
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https://doi.org/10.11588/diglit.15908#0093

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84

ein Bausch den ganzen Kopf nmrahmt.
Die hl. Familie nach Aegypten fliehend
ist ein sehr beliebtes Thema in der mittel-
alterlichen Knnst. Als Seitenstnck znm
vorigen führt Wright in seiner „Geschichte
des häuslichen Lebens und Fuhlens" eine
Darstellung desselben Gegenstandes von
einem ungefähr gleichzeitigen angelsächsi-
schen Handschriftenmaler an. Es ist nicht
ohne Reiz, zu betrachten, wie das nor-
mannische und das angelsächsische Talent
voneinander abweichen. Das andere Stein-
bildwerk dieser Art (bei Wright S. 56)
ist der Fa<;ade der Aegidinskirche — Eglise
St. Gilles — bei Nimes entlehnt und
gehört dem 12. Jahrhundert an. Es
stellt David vor, wie er Goliath tobtet.
Letzterer ist ganz in ein Panzerhemd ge-
hüllt und wie ein echter normannischer
Ritter mit Lanze und Schild bewehrt,
während David ein weibliches Aussehen
hat. Ein zur Seite stehender Korb scheint
auf den ersten Blick Aepsel zu enthalten,
es werden aber wohl Kieselsteine sein für
die Schlender, welche der junge Held um
den Hals trägt. Mit einem solchen Ge-
schoß hat er den Riesen gefällt und ent-
hauptet ihn nun mit dessen eigenem Schwert.

Dieser Kindheitsstnfe, wo die Komik
sich nngernfen einstellt und nngernfen sich
den ernstesten Gestalten an die Sohlen
heftet, gehören auch die wunderlichen Fi-
guren an der Fa^ade der uralten Fidelis-
kirche §u ($omo an, die bis anfs 5. Jahr-
hundert znrückgehen sollen. Unser Eng-
länder reiht dasjenige dieser Bildwerke,
von welchem er (Seite 48) eine Ab-
bildung gibt, ins Kapitel des Abenteuer-
lichen und Ungeheuerlichen ein insbesondere
wegen eines Thiermenschen, der sich darauf
befindet. Aber dieser Thiermenseh, wie
die Situation überhaupt, ist ernst zu
nehmen und nur in der kindhaften Anf-
fassnng und Ausführung liegt die Komik.
Es sitzt nämlich eine Mannsgestalt mit
einem Schafskopf ans einem räthselhaften
Gegenstände, den Wright einer Krabbe
ähnlich findet, der aber vielleicht nichts
anderes als ein Polster sein soll. Da die
Gestalt ihre Rechte zum Segen erhebt
und ein Heiligenschein ihren Kops umgibt,
so ist klar, daß Christus selbst gemeint
ist, und der Kops des Schafes soll nichts
anderes als ihn als das Lamm Gottes

kennzeichnen. Im Feld darüber hält ein
beflügelter Engel ein Menschlein mit der
Linken an einer Haarflechte, an der er
zieht und weist zugleich mit der Rechten
ans die unten sitzende soeben besprochene
Gestalt. Das Menschlein scheint aber
nur in Folge Raummangels so klein.
Es könnte also auch ein Erwachsener sein.
In der Hand trägt es eine große Schale.
Im anstoßenden Feld neben dem fraglichen
Christus spielt sich ein Kamps ab zwischen
einem Drachen, einer geflügelten Schlange
und einem geflügelten Fuchs. Ans der
entgegengesetzten Seite des Portals sign-
riren zwei Ungethüme, die den Kops eines
Lammes fressen. Könnte das Ganze nicht
eine Symbolik sein in dem Sinne: wie

der Ruf und Zug der Gnade — deshalb
zieht der Engel den Menschen neben sich
— den Letzteren aus dem Unfrieden des
Heideuthnms (kämpfende Ungeheuer) und
der christnsfeindlichen Welt (die Unthiere
stürzen sich aus den Lammeskopf) glücklich
heraus- und hinführt in den Bereich der
Wahrheit und Gnade des Erlösers? —
Wie dem sein mag, Spaß und Scherz
liegt jedenfalls dem Inhalte fern.

Haben wir früher uns mit Grotesk-
bildern beschäftigt, deren Bedeutung über
die Form nicht hinansgieng und die keinen
andern Zweck hatten, als durch ihre Häß-
lichkeit zu gefallen, so müssen wir jetzt ein
par Worte sagen über Mißgebilde, die
eine geistige Bedeutung hatten oder au-
nahmen. Manche nämlich, welche schon
die Alten in einem gewissen Sinn anf-
faßten, bekamen einen neuen, noch mehrere
aber, die im Geiste des Erfinders weder
Wahrzeichen, noch Sinnbilder sein sollten,
wurden später zu Vergleichnugeu und
Nutzanwendungen gepreßt. Es war dies
entschieden eine Neuerung, die in der
zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts sich
vollzog, also damals, als die Sucht,
Gleichnisse und Lehren an die Welt der
äußeren Erscheinungen zu knüpfen, sich am
stärksten äußerte.

(Fortsetzung folgt.)

Rreuzpartikel der Klosterkirche in
Kirchheim (im Ries).

Die jetzt in den Gebrauch der Gemeinde
übergegaugene Kirche des ehemaligen
 
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