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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 9.1891

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Nr. 9
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https://doi.org/10.11588/diglit.15908#0095

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86

ten Punkte sämmtlich berücksichtigt, was dieser
Neuauflage zu gut kam.

Eben dieses löbliche Verhalten des Autors
und die Rücksicht auf zu erwartende weitere Auf-
lagen veranlaßt uns, diese vorliegende eingehend
zu besprechen und auf ihre Mängel offen hinzu-
weisen. Hier milß nun zuvörderst gesagt werde,:,
daß der Verf. im Text viele Fehler der ersten
Auflage korrigirt, aber mit dem übermäßig ver-
mehrten neuen Stoff fast noch mehr Fehler in
die zweite hcreingcbracht hat. Wäre er doch
lieber über den Stoffrahmeu der ersten Auflage
gar nicht hiuausgegangen. Er hat sich aber auf
prinzipielle Untersuchungen eingelassen, denen
er sich schlechterdings nicht gewachsen erweist.
Die §§ 1—5 sind nicht nur überflüssig, sondern
was schlimmer ist, Seite für Seite mit schiefen,
falschen, mißverständlichen Sätzen durchwirkt.
So ist die Bestimniung der Aufgabe der kirch-
lichen Baukunst S. 1 (die Verherrlichung Gottes,
die Erbauung der Gläubigen und die Förderung
des religiösen Lebeils) völlig werthlos, denn ge-
rade so könnte der Zweck der Predigt, der Li-
turgie, der kirchlichen Musik re. bestimmt werden;
erste Aufgabe der Baukunst ist doch Bauen,
nicht Erbauung. Beinahe iverthlos ist auch der
§ 3: Symbolik in der kirchlichen Baukunst, der selbst
den geringsten Anforderungen nicht genügt. § 4
eifert sehr unnöthig gegen eine zu starke Beein-
flussung der Baukunst durch die Wissenschaft der
Kunstarchäologie; wenn unzüchtige Bilder auf
den Altar gestellt werden und der Abort mit
der Mauer au einen Taberuakelaltar angrenzt
(S. 9), was hat denn damit die Kunstarchäologie
und der „Professor der Wissenschaft über kirch-
liche Baukunst" zu thun? In 8 5 hat der Ver-
fasser die seltsame Idee, die regulae juris aus
dem jus canonicum auf die Baukunst in longum
et latum anzuwenden, — meist um Punkte fest-
zustellen, die ein Vernünftiger nicht bezweifeln
kann. Der Ausfall gegen die christlichen Kunst-
blätter S. 10 ist beim doch auch sehr unmolivirt;
hätte nur der Verfasser diese Blätter, die seit
Jahrzehnten für die Interessen der christlichen
Kunst eiutreten, öfter beraten. — S. 15 heißt
es: „vorherrschen kann eine Bauform durch die
Art der Bogenbildung au Fenstern, Thiireu und
Gewölben, durch die Form des Daches und
Thurmes und selbst auch bloß durch die Art der
Ornamentik"; gewiß eine sehr oberflächliche und
äußerliche Auffassung der Stile, aber leider ist
sie für die ganze folgende Darstellung maßgebend;
auch hier läßt der Verfasser die konstruktiven
Gesetze fast ganz außer Acht, deren Ausfluß doch
die oben genannten Einzelnheiteu nur sind. —
Die Angabe, daß Papst Alexander I. die Auf-
bewahrung geweihten Wassers in den Kirchen
befohlen habe (S. 26) bedürfte eines Beleges.
— S. 27: „Daß es nicht auch Kirchen aus
neuester Zeit gibt, welche gothische Fenster und
Portale, aber sichtbare Biudebalkeu mit Holzdecke,
also gar keinen bestimmten Baustil haben, will
damit nicht gesagt sein"; sollte die Holzdecke die
Kirche eo ipso uugothisch machen? will der Ver-
fasser in den vorhergehenden Sätzen wirklich be-
haupten, daß im gothischeu Stil nie mehr Holz-
deckeu vorgekommeu seien? — S. 32 muß die

Vermuthung sich bilden, daß der Verfasser
Brunellesco's Kuppelbau in Florenz dem byzan-
tinischen Stil zutheile; S. 36 die, daß mau
die Glocken in die byzantinischen Kuppeln gehängt
habe. — Wie in unser Handbuch sich gar noch
der byzantinisch-maurische Stil verirrt mit eige-
nem Paragraphen und fünf Abbildungen, das
'wird sich jeder Leser verwundert fragen; trotz
seines Einflusses auf romanischen und gothischeu
Stil ist er hier sicher so entbehrlich, wie beim
gothischcn und romanischen Stil die Berücksich-
tigung Italiens, Spaniens, Frankreichs, Eng-
lands; es ist nicht Nörgelei, wenn die Aus-
scheidung dieser Paragraphen verlangt wird;
mau könnte ja eine präzise Darstellung auch
dieser Stilarteu als Dreingabe dankbar hinuehmeu,
aber die hier gebotene genügt nun eben doch in
keiner Weise. — S. 40 wird gesagt, in Bayern
und Oesterreich sei der romanische Stil erst um
1200 in Herrschaft gekommen, und auf den spät-
romanischeu sogleich der spätgothische gefolgt; die
Korrektur steht S. 76. — Eigene Beichtstühle
sind aus der romanischen Zeit noch nicht nachzu-
weisen; zu S. 43. — S. 53 ein schrecklicher
Satz: „man glaubt in der starken Hintermauerung
zur Vorbeugung gegen den Seitenschub einen
hinreichenden Grund zur Mißachtung dieser Ge-
wölbcart (Tonnengewölbe) für Kirchen zu be-
sitzen". — Die Hallenkirche eine Ernüchterung
und Verflachuug des gothischeu Stils zu neuneu
(S. 76), ist unberechtigte Kritik. — Die Behand-
lung der Renaiffauce ist eine widerspruchsvolle;
die Widersprüche, in welchen der Verfasser sich
hier bewegt, sind ergötzlich copulirt in folgendem
Satz: „ivenn keine überschwengliche Dekoration
den zuchtlosen, über alle Gesetze der
Religion sich h i n w e g s e tz e n d e u Charak-
ter des Stiles verunstaltet, sind die Kirchen
dieser Periode (der Renaissance) schön und wür-
dig zu nennen"; ein wahres Wunder: ein zucht-
loser und über alle Gesetze der Religion sich hin-
wcgsetzcndcr Stil baut noch schöne und würdige
Kirchen; ja dieser Stil, so schlecht er seinem
Charakter nach ist, wird eigentlich doch erst durch die
überschwengliche Dekoration unbrauchbar. Dazu
nehme man dann den Satz S. 113: „neue Prin-
zipien in der Anlage von Kirchen kommen in der
Renaissance nicht vor" — und doch setzt sie zucht-
los sich über alle Gesetze der Religion hinweg?
Dazu daun wieder die Darstellung S. 111 f., wor-
uach cs scheinen könnte, als habe die Renaissance
nach Kirche und kirchlichem Bedürfniß absolut
nichts mehr gefragt. Nach seiner Auffassung der
Renaissance, woruach die unsittliche Ornamentik
unzertrennlich mit dem Stil zusammenhängt
ss. 112), mußte der Verfasser ein absolutes
Verbot derselben aussprecheu, und ist diese ein-
gehende Vorführung aller ihrer Stilformen nicht
mehr zu begreifen. — Moutault wird S. 8 rich-
tig, S 12 zweimal falsch geschrieben. — S. 127:
„brennt eine Kirche ab, so sollte nur aus sehr
gewichtigen Gründen statt der geweihten und
durch viele Gebete geheiligten Stätte ein anderer
Bauplatz gewählt werden" — warum gerade
wenn sie abbrennt? Ebendaselbst: Kathedral-
und Klosterkirchen werden stets mit dem Wohn-
gebäude verbunden"; der Verfasser hat eine
 
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