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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 9.1891

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Nr. 11
DOI Artikel:
Neue Beiträge zur Frage der Caselform, [6]
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Keppler, Eugen: Phantastischer, scherz- und boshafte Gebilde mittelalterlicher Kunst, [8]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15908#0108

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98

den drei Sägenmessern, kommt vor als das
des Heinrich Späth (Spetten-Schilzburg),
Propstes des St. Manritinsstifts iit
Rottenburg-Ehingen 1383, das andere als
das des Konrad v. Gültlingen, Ritters
und Hauptmanns der Grafschaft Hohen-
berg 1416. Es legt sich die Vermnthnng
nahe, daß die Magdalena unter dem
Kreuz, deren Gesicht stark den Eindruck
des Porträts macht, die Stifterin des Ge-
wandes zu repräsentiren hat, welche wohl
jenen beiden Geschlechtern angehört haben
mag. Das Meßgewand gehörte in die
Altstadtkapelle bei Rottenburg und stammt
aus dem 15. Jahrhundert. Ebendort be-
fand sich ein zweites ans dunkelrothem
Seidesammtplnsch mit einfacherer, aber
auch sehr geschmackvoller Granatapfel-
mnsternug. Der Stoff, wohl noch etwas
älter als der vorige, wurde im 18. Jahr-
hundert zu einem neuen Meßgewand ver-
arbeitet, dessen breites Kreuz der ansge-
lassenen Blumenweberei der Zopfzeit an-
gehört. Endlich fand sich in der Kalk-
weiler Kapelle bei Rottenburg ein Meß-
gewand , das wohl für roth galt. Der
Grund des Stoffes ist Goldbrokat; darauf
sind große stilisirte rothe Blumen mit gol-
denen Herzblättchen, abwechselnd mit noch
geschlossenen Blnthenkelchen eingewoben;
zwischen den Blumen ziehen sich quer band-
artige, gegitterte Streifen durch, auf welche
stilisirte, oben hübsch umgeschlagene Blätt-
chen aufgelegt sind. Stoff itub Dessin ge-
hören zweifellos der Spätzeit an, wohl
noch dem 18. Jahrhundert. Die Zeich-
nung aber zeigt eine so glückliche Ver-
bindung von Naturalismus und Stilisirnng
und ungeachtet der etwas großen Formen
eine so geschmackvolle Feinheit, daß sie un-
bedingt zu den besten Mustern der Spät-
zeit zu rechnen ist. Viel naturalistischer,
aber ebenfalls ein Feinstück der Weberei
ist der die Stelle des Kreuzes vertretende
breite Stab in der Mitte mit eingewobenen
großen, kreisförmigen Silberblnmen, halb-
offenen Blumenkelchen und reichen! Ge-
zweig.

Diese drei Stücke alter Paramentik be-
fanden sich in Rottenburg. Wo sind sie
hingekommen? Sie wurden vor ungefähr
acht Jahren verkauft, jedenfalls ohne Zu-
stimmung der bischöflichen Behörde. Das
eine kam nach München, die beiden an-

dern in den Besitz des Professors Fisch-
bach in St. Gallen, des Herausgebers der
„Ornamentik der Gewebe". Wie viel ist
auf solche Weise außer Landes gekommen!
Wie sehr ist es zu bedauern, daß solche
Objekte, wenn man sich ihrer nun einmal
entänßern will, nicht wenigstens der Staats-
sammlung einverleibt werden, oder daß wir
kein Bischöfliches Museum haben, das sie
vor Untergang und Verschleuderung retten
würde. —

phantastische, scherz- und boshafte
Gebilde mittelalterlicher Runst.

Von Stadtpfarrer Engen Keppler in Freudenstadt.

(Fortsetzung.)

Wenn diese „antiklerikalen K a r i k a -
turen" solche Schlüsse rechtfertigen, wäh-
rend doch sonst eine Karikatur nimmer-
mehr als objektiver Maßstab angesehen
wird, was beweisen dann all die ernst-
gemeinten, ebenfalls aus Laienhänden
hervorgegangenen symbolischen, allegorischen
und geschichtlichen Bilder, in welchen der
Klerus des Mittelalters im vortheilhaftesten
Lichte erscheint? Aus diesen wird dann
gefolgert werden dürfen, daß alle Mit-
glieder dieses Standes „heilig, schuldlos,
unbefleckt und ansgeschieden von Sündern"
gewesen? Nicht wahr? — Qui nimium
probat, nihil probat!

Wie alle Stände, so zählt auch die
Welt- und Klostergeistlichkeit des Mittel-
alters solche in ihren Reihen, die ihr keine
Ehre machten, und zwar bis hinauf zu
den höchsten Stellungen. Wo Licht ist,
da ist auch Schatten. Was aber wohl zu
beachten ist: die diese Schattenseiten am
schonungslosesten hervorhoben, sie in Wort
und Thal, in Predigten und auf Kirchen-
versammlnngen zu bekämpfen nicht müde
wurden, das waren, von Augustinus bis
auf Trithemins, die Kleriker selber (vgl.
Kreuser a. a. O. S. 171). Es ist also
verkehrt, gewisse kaustische Sittenbilder an
mittelalterlichen Kirchen als im Gegensatz
gegen die Bauherren angebracht zu denken.
Wäre ihre Anbringung wirklich gegen den
Willen des Klerus erfolgt, was hätte ihn
hindern können, sie alsbald zu entfernen?
Wie wäre es begreiflich, daß er Jahr-
hunderte lang der Hüter seiner eigenen
Schande sollte gewesen sein? Viollet le
 
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