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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 9.1891

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Nr. 11
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Keppler, Eugen: Phantastischer, scherz- und boshafte Gebilde mittelalterlicher Kunst, [8]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15908#0109

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99

Duc irrt, wenn er meint, der Widerspruchs-
geist des Bürgerthums, deu die geistlicheu
Oberhirten erst gegen deu Adel entfesselt,
habe sich in solchen Bildwerken gegen sie
selbst entladen. Dagegen erblickt er mit
Recht in denselben einen »Osprit ck'incke-
penckance tout nouveau« (8.Bd. S. 136).
Nur ist dieser Unabhängigkeitsstnn nicht,
wie er meint, ans Seite der Baumeister,
die ihren Witz an der Geistlichkeit aus-
gelassen, sondern vielmehr ans Seite der
letzteren selbst: e)ne solche Unabhängigkeit
von jedem Vornrtheil, eine solche echt evan-
gelische Unbefangenheit, daß man sich nicht
scheute, sogar die eigenen Fehler zur Be-
lehrung und Besserung des christlichen
Volkes bis auf einen gewissen Grad an '
den Pranger zu stellen und, daß man, wie
jeder richtige Prediger thnt, seine Predigt
vor allem gegen sich selbst und dann erst
gegen die andern kehrte. — Daß in man-
chen Darstellungen der besprochenen Art
ein Pflichtenspiegel und eine Warnungs-
tafel in erster Linie für den Klerus selbst
beabsichtigt war, ergibt sich schon daraus,
daß sie meist im hohen Chor, wo sie
nur ihm in die Augen fielen, angebracht
wurden.

Ein Beispiel, wie die ernstesten Wahr-
heiten sich in ein spaßhaftes Gewand hüllen
können, haben wir bekanntlich an den Todten-
tänzen des Mittelalters. Sie sind noch ans
dieser Zeit, wenn sie schon ihre vollständige
Ausbildung und Volksthümlichkeit erst später
erreichten. Spätestens vom Anfang des
13. Jahrhunderts datiert die ursprünglich
an den Namen des hl. Makarius geknüpfte
Erzählung von der Begegnung der „Drei
Lebenden und der drei Todten". Die
meistens französischen Verse sind manch-
mal mit Bildern versehen, welche durch
Meißel und Pinsel ans die kirchlichen
Gebäude übertragen wurden. In einer
Zeit näher der unsrigen, es war höchst
wahrscheinlich Anfangs des 15. Jahrhun-
derts, wandte irgend einer diesen Gedanken
ans alle Gesellschaftskreise an, indem er
eine (wenn nöthig mehrere) znsammen-
geschrumpfte Leichen als Personifikationen
des Todes Hand in Hand mit einem Ver-
treter jedes Standes darstellte. Ein solcher
Austritt, der bald mehr, bald weniger
Theilnehmer zählte, hieß Todtentanz, weil
die Todtengestalten mit den Lebenden sich

in tollem Tanze drehten. Die namentlich
im 15. Jahrhundert üblichen Ausdrücke:
Ellorea iVlacllabaeorum, darme macabre
beruhen vielleicht auf einer Entstellung des
Namens Macarius, dessen Legende von
den drei Lebendigen und den drei Todten
oft als Einleitung voransgeschickt wurde.
In einer Zeit, die den Tod unter jeder
Gestalt beständig vor Angen hatte und
gewohnt war, das Leben nur als einen
flüchtigen Sonnenblick zu betrachten, konnte
es nicht anders sein, als daß der ironische
Gedanke der Vermählung des Todes mit
dem Leben sehr unter das Volk drang.
Nicht allein an den Wänden der Kirchen
stellte man den Tod dar, man webte ihn
sogar in die Wandteppiche ein, welche die
Wohngelasse zierten. Ja bisweilen über-
trug man ihn sogar in den Mummenschanz,
und die Geschichte meldet, daß im Oktober
1424 der Todtenreigen von den Leben-
den öffentlich anfgeführt wurde auf dem
Kirchhof des Jnnocents — dem passen-
den Schauplatz eines solch düstern Spie-
les — zu Paris, in Gegenwart der
Herzoge von Bedford und von Bonr-
gogne, die nach der Schlacht von Ver-
nenil ihren Einzug in die Stadt ge-
halten.

Im Verlauf des Jahrhunderts zog
der Todtentanz seine Kreise immer weiter.
Zur Illustration der bildlichen Darstellungen
schrieb der englische Dichter Lydgate eine
Reihe von Versen, durch welche hinwider
einige der ältesten Holzschnitte, die wir
über diesen Gegenstand haben, veranlaßt
worden sind. Die Geberden der Theil-
nehmer, in welchen die verschiedenen Ge-
sellschaftskreise verkörpert sind, die Zn-
thaten, von denen sie umgeben sind, das
mehr oder weniger große Widerstreben,
womit die Lebenden ihre nicht gar ver-
lockenden Partner aufnehmen: das alles
trägt meist ein satirisches Gepräge, bis-
weilen mit possirlicher Komik untermischt.
Der Tod zeigt fast immer den Ausdruck
guter Laune in seinem fleischlosen Gesicht
und scheint ganz vergnügt git tanzen. —
Das merkwürdigste unter den uns erhal-
tenen alten Todtentanzbildern ist ein
Wandgemälde in der Kirche der Chaise-
Dieu in der Auvergne. Die eigenthümliche
Komposition beginnt mit Adam und Eva,
welche den Tod in Gestalt einer Schlange
 
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