Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 9.1891

DOI Heft:
Nr. 12
DOI Artikel:
Pfeifer, Franz Xaver: Ueber einige Maßverhältnisse des Münsters zu Ulm und seines Chorgestühles
DOI Artikel:
Literatur
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.15908#0121

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
111

daß hier wirklich — bei genügender Erkennt-
niß — die Wahrheit darüber gefunden
werden könne, welches das schönste Ver-
hältniß sei." Herr Göller, der dieses erzählt,
scheint selbst nicht bei jener Berathnng über
den Ansbau des Ulmer Münsterthurmes als
Theilnehmer gewesen zn seiil, denn er hat
über den Streitpunkt jener zwei Parteien
eine ganz andere Ansicht, als nach Göllers
Bericht die Theilnehmer an jener Diskussion
hatten. Jene meinten nämlich —■ trotz der
Verschiedenheit ihrer Ansichten — daß bei
genügender Kenntniß eine objektiv gültige
Entscheidung über das schönste Verhältnis
gesunden werden könnte. Göller aber ist
der Ansicht, daß eine solche objektiv gültige
Entscheidung überhaupt unmöglich sei, weil
die Schönheit der Maßverhältnisse nach seiner
Meinung nicht von objektiven, sondern von
psychologischen, also subjektiven Bedingungen,
insbesondere von Gedächtnißbildern abhängt.
Wir können uns hier auf eine Kritik dieser
Ansicht, die uns — offen gesagt — etwas
sonderbar vorkommt, nicht näher einlassen,
sondern bemerken bloß, daß bei der wirklicheil
Vollendung des Ulmer Münsterthurmes die
Ansicht jener Partei, welche für Abänderung
der Maßverhältnisse des alten Planes stimmte,
durchgedrlmgen ist, unb daß in Folge dieser
Abänderung das Verhältnis^ der Pyramide
Zll dem dieselbe tragendeil Uilterball bei dein
Ulmer Thurm jeilem Verhältiliß, welches bei
den Kölner Thürmen besteht, mehr angenähert
ist, als dies nach dem Plane von Böblinger
der Fall war. Bei den Köliler Thürmen
verhält sich die Höhe der Pyramide zur
Höhe des Unterbaues fast geilall wie der
Minor des goldeileil Schnittes zum Major.
Nach dem Plaue Böbliilgers würde das
Höhenverhältniß zwischen Pyramide ititb
Unterbau um mehr als 9 m vom goldeneil
Schnitt abweicheil. Bei deil gegenwärtig
wirklich ausgeführten Verhältnissen beträgt
die Abweichung der Pyramide vour Verhält-
niß des goldeneil Schnittes noch 2,5 m, also
jedenfalls viel welliger als liach denl ur-
sprünglichen Plane. Uebrigens soll damit
keineswegs gesagt oder allch mtr angedeutet
sein, daß der leitende Architekt dem goldeilen
Schnitt zu Liebe jene Abänderung getroffen
habe. Es sollte hiemit bloß die Thatsache
konstatirt werdeir, daß die Abänderung des
Planes zll Gunsten einer Annäherung an
jene Proportion ausgefallen ist.

Pfleiderer spricht in dem schon erwähnten
Büchlein mit großer Begeisterung von der
ebenso kühnen als schöneil Konstruktion der
Pyramide unb der im Innern derselben voil
acht Verspaililllilgsbögeil getragenen Wendel-
treppe, die bis Zlliil oberen Kranze hinanf-

sührt. Ich bin selbst schon zweimal auf jener
Wendeltreppe bis zum oberen Kranz gestiegen,
das erstemal zll einer Zeit, als noch Gerüste
in jener Höhe angebracht war, unb habe den
Bau der Pyraniide bei dieseil Besteigungen
von innen und außen betrachtet und bewun-
dert. Ich stimme iit diesem Punkte dem
Lobe Pfleiderers vollkommen bei und gestehe,
daß mir die Pyramide des Ulmer Thnrmes
besser gefallen als die der Kölner Domthürme,
bei welch letzteren bekailntlich in der Pyramide
keiile Weildeltreppe angebracht ist.

Uebrigeils hat, wenn man beu ganzen
Münsterball in Ulm voil allßen betrachtet,
ans die ästhetische Wirkung allch der Umstand
einen günstigen Einfluß, daß dem Hanpt-
thllrin im Westen die zwei Chorthürme im
Osten gegeilübersteheil. Dadurch wird eine
Art optisches unb ästhetisches Gleichgewicht
zwischen West unb Ost hergestellt, denn die
Ostthürme bildeil eine Art Gegengewicht
gegenüber dem Westtilrnl. Beide Chorthürme
zusammen halteil bem Westthurm sozusagen
das Gleichgewicht. Würden die letztern fehleil,
so würde die ästhetische Wirkilng des ganzen
Baues sehr verlieren.

Allch in dieser Beziehilng kann man deni
Ulnler Münsterball bei der äußeren Betrach-
tnng eineil relativen Vorzug vor dein Kölner
Dom einrällinen, weil bei bem letzteren den
zwei iilächtigeil Westthürmen keine Chorthürme
als Gegeilgewicht gegenüber treten. Aller-
dings kann man etwa die weit hervortreten-
deil Arme des Querbaues lind den über der
Kreuznilg sich erhcbendeil Dachreiter als
solche Theile, die zn ben beiden Westthürmen
ein optisch-ästhetisches Gegengeivicht bilden
sollen, ailsehen, ob sie aber in so vollkom-
mener Weise dies leisten, wie die Chorthürme
des Uliner Müilsters, kann man beziveiseln.

Ich kann jedoch nicht mehr beistimmen,
wenil Pfail in einer von Pfleiderer S. 39
angeführten Stelle sagt: „Der Ulmer Mün-
ster macht int Innern einen großartigeren itub
ergreifenderen Eindruck als der Kölner Dom."
Was die Gesammtwirknng des Jnneril be-
trifft, so ziehe ich ben Kölner Dom unbedingt
denl Ulmer Münster vor unb glaube hierin
die Mehrzahl derjeiligen, welche beide Ball-
werke gesehen, auf meiner Seite zn haben.

Literatur.

Die heilige Schrift des A l t e n
lt nd N enen T e st a m e n t s. Alls
der Vulgata übersetzt boit Dr. I o-
sephFranz non A llioli. Jlln-
strirte Volksausgabe mit 45 Voll-
bilderil in Farbendruck, über 1000
andern Abbildungen und Karten im
 
Annotationen