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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 10.1892

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Nr. 3
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Phantastische scherz- und boshafte Gebilde mittelalterlicher Kunst, [12]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15909#0030

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Ganz anders sarkastisch ist jedoch eine
Scene an demselben Chorgestühl, das böse
Ende einer betrügerischen Bierwirthin ver-
ewigend. Der Gerichtstag ist angebrochen.
Ein Tensel tritt als Ankläger ans. Er
zeigt einen ungeheuren Pergamentstreisen,
entsprechend der endlos langen Reihe ihrer
Unthaten. Ein anderer Tensel hat die
Unglückliche an den Füßen ersaßt und
trägt sie auf sehr rücksichtslose Weise aus
seinen Schultern, um sie in den gähnenden
Höllenrachen zu werfen. Die Wirthin ist
nackt, abgesehen von ihrem modischen Kops-
putz; das falsche Schankmaß ist noch in
ihrer Hand. Ein Unhold bläst den Dudel-
sack als Willkomm. Die Auffassung ist
voll Witz und Leben. — In den Abbil-
dungen bei Wright sehen wir von ernsten
Beschäftigungen und in ernster Aussassung
noch den Zimmermann und den Schuster
nach den Skulpturen von Corbeil darge-
stellt; die Palme aber gebührt einer Hirten-
grnppe hebend. S. 127) vom Chorgestühl
zu Gloucester, das älter ist als das von
Corbeil. Die drei Hirten — es sind wie
die Weisen immer drei — sind betroffen
von dem Erscheinen des Sterns und
drücken durch die lebhaftesten Geberden
ihr Erstaunen aus. Selbst der Hund
fühlt sympathisch mit. Die Gewandung
der Hirten ist hervorragend ausgesührt
samt den verschiedenen Geräthen, die an
ihrem Gürtel hängen.

Wie nahe im Mittelalter die Kunst sich
mit dem Volksleben und der volksthüm-
lichen Literatur berührte und ans beiden
schöpfte, ersehen wir am besten ans den
Satyren und Karikaturen ans die jocula-
tores und menestelli. Diese waren nicht
allein, wie wir gesehen, Träger, sondern
selbst wieder Zielscheiben des Witzes, und
wie ihr „fortgesetzter Lebenswandel" viel-
fach den Spott der Menge gegen sie reizte,
so fanden sie selbst Hinwider ein Ver-
gnügen daran, s i ch anfzuziehen : einer den !
andern und einzelne auch sich selbst. (Man
lese nur, um sich von letzteren zu über-
zeugen, die halb scherz-, halb schmerzvollen
Reime eines Rnteboens und eines Colin
Muset ans der Zeit Ludwigs des Heiligen.)
Es müßte also seltsam zugegangen sein,
wenn die Denkmale des Mittelalters nicht
eine reiche Ernte darböten an Zerr- und
Spottbildern aus die „fahrenden Leute".

Man sieht ihre Instrumente, die bisweilen
absichtlich entstellt sind, in den Händen
von Ungethümeu oder von nicht sehr an-
ständigen Thieren. In einer Handschrift
im Britischen Museum zeigt eine geigende
Musikantin statt der heute üblichen Tour-
nnre den Hinterleib eines Pferdes, auf
dessen Hinterfüßen sie wie eine Centaurin
steht. Ob der Fiedler auf den: Chorgestühl
zu Elp, dessen Geige übrigens einem Brelt-
stück ähnlicher ist, mehr ein Ungeheuer
oder ein Krüppel sein soll, ist nicht er-
wiesen; wahrscheinlich das letztere. Der
Oberleib zeigt einen plumpen Auswuchs
statt des Fußes. — Eine Gestalt in der
Johanneskirche zu Cirencester mit den Ge-
sichtszügen eines Bruders Liederlich treibt
die Kurbel eines Leierkastens oder eines
gleichwerthigen Werkzeugs. — Das fah-
rende Volk, zu welchem auch die Minne-
sänger niederer Gattung zählten, stand im
Ruf der Schlemmerei. Eine zarte Andeu-
tung dessen liegt vielleicht in einem Bild-
werk der Kathedrale von Winchester, einen
Eber darstellend, der einen jungen Tenor
ans seiner Verwandtschaft auf der Fiedel
begleitet. Auf einem andern Chorstuhl
derselben Kirche erscheint eine Sau, die
ein heutzutage vergessenes Instrument, die
Doppelpfeife, bläst. Letztere kommt auf
mittelalterlicheil Bildern nicht selten vor
und stammt offenbar ans dein Alterthum.
Das Thier säugt, während es spielt, seine
drei Ferkel; ein viertes, das offenbar die
Töne bezaubern, vergißt über der geistigen
Nahrung die leibliche. — Dieselbe Doppel-
slöte wird aus einem Bildwerk 31t Ciren-
cester von einer lustigen Alten geblasen.

Nicht immer erfreuten sich die einzelnen
Instrumente der gleichen Gunst. Es kam
eine Zeit, da sogar die seelenvolle Fiedel
vor dem rohen Lärm der Pfeifen, Schellen-
trommeln und Dndelsäcke in weiten Kreisen
verstummte. In einem sehr merkwürdigen
Gedicht aus dem 13. oder 14. Jahrhundert
ist dieser Verfall beklagt und sogar als ein
Anzeichen von dem nahen Erscheinen des
Antichrist gedeutet. Ein diesem Dichter
offenbar kongenialer Holzschnitzer führt ans
einem Chorstnhl in der Kapelle Hein-
richs VII. in der Westminsterabtei einen
schauerlichen Teufel als Trommelschläger
ein. Ein anderes Bildwerk an denselben
Chorstühlen stellt einen Bären an der
 
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