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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 10.1892

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Nr. 4
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Pfitzer, Anton: Zwei Wandgemälde in der Heiligkreuzkirche zu Schwäbisch-Gmünd
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https://doi.org/10.11588/diglit.15909#0039

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Die linke Wandfläche nimmt als Pen-
dant eine sogenannte Pieta ein, wie sie
herzlicher und inniger sich unter allen der-
artigen Darstellungen der ältesten und
neuesten Künstler kaum finden mag. Am
Fuße des Kreuzes, an letzteres sich an-
lehnend, sitzt die Schmerzensmutter, de»
Leichnam ihres göttlichen Sohnes ans ihrem
Schooße haltend. Hals und Nacken des
Leichnams umschlingt sie mit ihrer Rech-
ten; den linken Arm hält sie in ihrer
Linken. Der tiefe Schmerz, der ihre
Seele einem Schwerte gleich dnrchdringt,
kommt ans ihrem mildreichen Antlitze nicht
zum stürmischen Ausbruch. Er ist ge-
dämpft durch eine mystische Seelenruhe,
in der sie gleichsam zu sagen scheint:
„So, o Vater im Himmel, hast Du ihn
mir gegeben, so gebe ich ihn Dir wieder
zurück. Meine größte Freude ist mir zum
herbsten Schmerze geworden; aber auch
dieser herbste Schmerz wird wieder meine
süßeste Freude werden." Mit dieser feier-
lichen Stimmung voll Seelenruhe und
himmlischer Hoffnung sieht in schönem
Farbeneinklang das die ganze Gruppe be-
leuchtende, im edelsten Faltenwürfe ge-
haltene lichtblaue Gewand der Mutter.

Weniger imponirend kniet zu Häupten
des Leichnams eine Maria Magdalena;
etwas rückwärts dagegen zur Rechten Ma-
riens steht eine in den edelsten Zügen ge-
haltene Frauensperson, ihren theilnehmen-
Schmerz durch die über die Brust geschla-
genen Hände ansdrückend. Im Hinter-
gründe endlich stehen Nikodemus und Jo-
seph von Arimathäa mit dem ganz natnr-
wahr gefalteten Leichentnche. Nicht wie
bei Rubens ist es der Akt der Kreuzab-
nahme, zu dem das Linnen dient, sondern
der vom Kreuze abgenommene Leichnam
soll in dasselbe eingewickelt und dem Grabe
übergeben werden; zu diesem Zwecke halten
sie das Leichentuch in Bereitschaft. Den
leeren Raum über und unter dem D.ner-
balken füllen vier Engelsgestalten, zwei
mit Ysop lind Dornenkrone, zwei mit
Rauchfaß und Weihwasserbecken, himmlische
Ministranten bei den Exsequien und der
Bestattung des Leichnams des Herrn.

Ueber diese beiden durch ihr hohes Alter
höchst interessanten Wandgemälde gab nach
einem Briese in der Gmünder städtischen
Antiguitätensammlnng des Herrn Kommer-

zienraths Erhard im Jahre 1864 Dr.
Waagen, Direktor des königlichen Mnse-
ums in Berlin, folgende Aeußernng ab:

„Obgleich ich mein Urtheil über die hiebei zu-
rüctfolgendcu Kopien der in der Kirche zum hl.
Kreuz in Schwäbisch-Gmünd aufgefundenen Bilder
schon lange festgestellt hatte, wünschte ich dieselben
doch dem hiesigen Verein für mittelalterliche Kunst,
welchem alle Männer angehören, die sich hier mit
iH'ii Denkmälern dieses Zeitabschnittes beschäftigen,
vorznlegen, um entweder etwas Bestimmtes dar-
über zu ermitteln oder meine Ansicht bestätigt zu
sehen. Hiedurch tvnrde ich aber leider durch eine
lange Krankheit verhindert, so das; dieses erst bei
der am 20. April stattgefundenen Versammlung
jenes Vereins geschehen konnte. Hier ergab es
sich nun, das; die Mitglieder des Vereitls meiner
Ansicht beistimmten, das; jene merkwürdigen
Bilder einem verdienten, doch wahrscheinlich dem
Namen nach unbekannten schwäbischen Maler
ans der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts
angehören. Für Hans Baldnng Grien, dessen
Hauptthätigkeit dem 16. Jahrhundert angehört,
indem er 1470 geboren, 1552 gestorben ist, ist
nicht allein der ganze Charakter zu alterthümtich,
sondern die Verhältnisse der Körper zu schlank,
die Formen zu mager, die Ovale der Köpfe zu
spitz und die Züge zu sein. — Hoffentlich wird
diesen sehr beachtenswertsten Bildern, von denen die
Trauer über den Leichnam Christi sich als Kom-
position besonders anszeichnet, die ihnen gebüh-
rende Anfmerksamkeit geschenkt und für deren
Erhaltung gesorgt werden."

Dieses ist denn auch geschehen. Schon
im Jahre 1863 war nämlich Mater und
Gemälde-Restauratur A. Deschler in
Augsburg mit der Wiederherstellung der
so beschädigten Wandgemälde beauftragt
worden. Vor Inangriffnahme gab dieser
Kenner und Mann vom Fache nach Jn-
spizirnng der beiden Bilder folgendes Gnt-
achten ab:

„Auf Veranlassung itub Kosten des Kaplans
Pfitzer besuchte ich Gmünd, um die daselbst in
der Pfarrkirche sich befindlichen Wandgemälde
behufs deren Restauration zu besichtigen. Ich
fand, das; dieselben nach meiner lleberzeugung
Werke aus der zweiten Hülste des 14. Jahr-
hunderts sind, welche durchgehends als sogenannte
Tempera-Bilder betrachtet werden; doch möchte
deren zähes Bindemittel kaum solche Freiheit der
Pinselführmtg zugelassen haben. Die Farbe hat
etwas verloren, der Auftrag ist sicher und ge-
»vandt und läßt ans Oelfresko schließen. Es ist
im Ganzen die überkommene typische Bildung
und Gesichtsform, doch wie schon bemerkt, bei
ziemlicher Handfertigkeit. So z. B. ersieht man
sowohl im Ganzen als vorzugsweise an dem
Christus die vcrblassene Manier des Meisters
Wilhelm und Stephan von Köln, überhaupt den
Zögling der Kölner Schule, in der sowohl bei
Gemälden als bei Skulpturen das byzantinische
Element in jener Zeit noch ziemlich maßgebend
war. Die Bilder sind nicht nur an und für sich
 
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