Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 10.1892

DOI Heft:
Nr. 8
DOI Artikel:
Das Kloster Kirchheim im Ries und seine Kunstschätze, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.15909#0075

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
67

Der obere Nonnenchor hat noch
zwei Reihen gothischer, aber zöpfisch, blan
und weiß bemalter einfacher Chorstühle mit
Zopfkrönung; hübsche Intarsien zeigen die
späteren kleinen Sitz- und Kniebänkchen für
eine Person; an der Westwand ein hoher
zöpsischer Uhrthnrm. Aus dem Choraltar
eine fast lebensgroße, spätgothische Ma-
donna, besser als die des Hochaltars; das
Kind ganz nackt; die Haltung majestätisch,
die Gewandung nobel; der Gesichtsansdrnck
ist durch eine herzgewinnende Fröhlichkeit
verschönt. Ein sehr tüchtiges Werk ist die
in einem Wandschrank geborgene Heilig-
grabgruppe von sechs Figuren, jede circa
1,5 m hoch; die Gruppirung der Gestalten
ist vortrefflich. Am wenigsten gelungen
ist der Leichnam, aber die Todtenklage der
hl. Frauen um ihn ergreifend geschildert.
Maria ist als Hauptperson betont; sie
breitet in mütterlichem Weh beide Arme
aus; in ihren Schmerz fließt der des
Johannes und der drei andern Frauen.
Das Werk gehört dem Grenzgebiet zwischen
Gothik und Renaissance an.

Aus dem Inventar der oberen Sakristei
mag der Seltenheit wegen noch erwähnt
werden ein ans Tannenholzbalken ge-
zimmertes Kreuz, dessen unteres Ende stark
abgenützt ist; es mag wohl zu Kloster-
zeiten als Bußkreuz gedient haben. Zum
Schatz der Kirche gehört der Kreuzpartikel,
den die Beilage der Nr. 9 des „Archivs" 1891
abbildet; zur dort gegebenen Beschreibung
ist nur nachzutragen, daß am Fuß das
Klosterwappen und die Jahrzahl 1509
angebracht ist und cm der Innenseite des
Fußes steht: Georg Newberger Gold-
schmid Z. N. (zu Nördlingen).

Nicht der ganze Unterraum unter dem
Nonnenchor gehört zur Kirche. Der
Hintere Theil desselben ist durch eine mas-
sive Mauer abgetrennt und bildet nun bis
zur Westwand der Kirche eine große
und geräumige Kapelle, die jetzt noch
St. Stephanskapelle heißt und von
welcher eine hölzerne Wendeltreppe ans
den Chor führt. Für eine bloße Kapelle
erscheint der Raum fast zu groß; vielleicht
diente derselbe als Kapitelssaal, oder war
er so reich bemessen worden, um die Grab-
lege der Aebtissinnen aufzunehmen; von
zweien derselben sind noch Grabsteine mit
Bildnissen da, die in der Mitte der Kapelle

am Boden liegen, nämlich von der Aeb-
tissin Margaretha von Dettingen, gestorben
1535, und Anna von Welwart, gestorben
1553; die Skulpturen sind nicht hervor-
ragend; die Aebtissinnenstäbe haben das
Sndarium.

Diese Stephanskapelle hat flache Holz-
decke; durch die Mitte zieht sich ein sehr
starker Balken, dem ein achteckiger Pfeiler
zur Stütze dient. Im ganzen Raum übt
Moder und Feuchtigkeit seit langer Zeit
eine unbestrittene und verheerende Herr-
schaft aus, welcher die alten noch spät-
gothischen Fresken der Ostwand fast voll-
ständig zum Opfer gefallen sind; man er-
kennt noch mit Mühe eine Krönung
Mariens, eine Steinigung des hl. Stepha-
nus und einen St. Christophorns; etwas
besser erhalten ein kleiner steinerner Oel-
berg ans nachgothischer Zeit, wohl vom
Ende des 16. Jahrhunderts; das Relief ans
gelbem Sandstein hat schon Renaissance-
Umrahmung. Hochwichtig aber ist ein
über der Thüre der Kirche sich anf-
wölbender, einerseits in die Ostwand der
Kapelle eingelassener, andererseits ans zwei
Freisäulen ruhender Steinbaldachin (siehe
die folgende Abbildung). Derselbe hat ein
Krenzrippengewölbe mit einem Rosetten-
schlnßstein; zwischen den Säulen und von
den Säulen zur Wand sind starke Eisen-
stangen eingelegt, nicht etwa für Vorhänge,
sondern zur Verstärkung des Gewölbe-
Widerlagers; über den spitzbogigen Oeff-
nungen läuft ein starkes Gesims, das mit
der Holzdecke zusammenstößt. Dieser ganze
steinerne Jnnenbau gleicht vollständig den
alten steinernen Altarciborien. Welche
Bedeutung hat er aber hier, vor und über
einer Thüre? Das Räthsel löst sich da-
durch, daß man unbedingt annehmen muß,
diese Thüre sei erst später dnrchgebrocheil
worden. Noch sind links vom Stein-
baldachin Spieren einer früheren Thüre
in die Kirche, rechts von denselben solche
einer Fensteröffnung wahrznnehmen. Keinen-
salls war ursprünglich unter dem Balda-
chin eine Thürössnnng; vielmehr barg der-
selbe den Altar der Kapelle. Das Ciborinm
ist jedenfalls nicht jünger als die Kirche,
wie seine sehr markigen gothischen Formen
beweisen; die Zwickel zwischen den Bögen
wie die Felder des Gewölbes waren einst
bemalt; eine Anbetung der Könige (auf
 
Annotationen