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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 10.1892

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Nr. 10
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Pfitzer, Anton: Der Stammbaum-Altar in der Taufkapelle der Heiligkreuzkirche zu Gmünd
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https://doi.org/10.11588/diglit.15909#0096

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85

Haltung, Darstellung und Auffassung bei-
der Figuren weist auf eine unverkennbare
Identität des Gedankens hin. Entweder
hatte der Maler den Bildhauer oder um-
gekehrt der Bildhauer den Maler benützt,
oder hatten beide ein gemeinsames Original
vor Augen, als sie der fraglichen Figur
diese Gestalt gaben; das ist wohl für je-
des beobachtende Auge unverkennbar. Der
Gmünder Altar und das Nürnberger Fen-
ster sind nicht bloß Zeitgenossen, sie sind
auch Landsleute, beide Nürnberger Kinder.
Und als solche sind sie zugleich Zeitgenossen
der großen Meister dieser damaligen Hoch-
burg kirchlicher Kunst; Produkte derBlüthe-
zeit eines Veit Stoß, eines Peter Bischer,
eines Adam Kraft, eines Michael Wohl-
gemuth und eines Albrecht Dürer. Und
daß unser Stammbaum ans diesem Boden
gepflanzt worden und daß er unter den
milden Strahlen dieser Sonne herange-
wachsen ist, davon gibt vor allem sein
Hauptbild unwiderlegliches Zengniß.

Dieses Hanptbild nun besteht aus einer
gar lieblichen, reizenden Gruppe von vier
Frauen in sitzender Stellung mit drei
Knäbchen aus dem Schooße von „leuch-
tender Schönheit", wie ein scharf-
sehender und feinfühlender Kenner sich ans-
drückt. Es ist Maria, die gekrönte Him-
melskönigin; ihr zur Linken ihre Mutter
Anna. Aus den Armen und ans dem
Schooße der jungfräulichen Mutter steigt
der göttliche Knabe zur Großmutter hin-
über. Zur Seite von diesen beiden sitzt
je wieder eine Frau mit einem Knäblein
ans den Knieen. Konnte über die beiden
ersten auch niemals ein Zweifel sein, so
haben dagegen die beiden letzten stets ver-
schiedene Auffassung und Deutung erfahren.
Die rechts zur Seite sitzende Frau wird
allgemein für eine hl. Elisabeth mit dem
kleinen Sohne des Zacharias, dem künf-
tigen Vorläufer des Erlösers gehalten.
Ueber die zweite aber zur Linken giengen
die Ansichten sehr auseinander. Man
schloß zunächst auf Salome, die Mutter
des hl. Evangelisten Johannes, die Frau
des Zebedäus. Vielleicht gibt Kleidung
und Ausstattung einigen Aufschluß. Ma-
ria , die Mutter des göttlichen Kindes,
unterscheidet sich von der Großmutter Anna
durch die Krone auf ihrem Haupte, wäh-
rend letztere nur ein einfaches Kopftuch

trägt. Ganz ähnlich verhält es sich mit
den beiden Frauen zur Seite. Die ver-
meintliche Elisabeth trägt ein ganz ein-
faches Kopftuch, das Frauenbild zur
Linken Mariens dagegen ist durch einen
bunten Turban auf ihrem Haupte aus-
gezeichnet. Dieser Kopfschmuck brachte
mich auf den Gedanken, es möchte die
mit dem Turban geschmückte Figur eine
Frau von Distinktion, d. i. eine fürstliche
oder königliche Persönlichkeit zu bedeuten
haben, llnb in Folge dessen nahm ich sie
als Bethsabe, das bekannte Weib des Kö-
nigs David, die Mutter Salomo'ö. Statt
einer Elisabeth erkannte ich in der zuerst
genannten, bürgerlich gekleideten Figur so-
fort Sara, das Weib Abrahams, mit dessen
Sohne Isaak in ihren Armen. So hatte
ich also die drei Kinder der Gnade und
Verheißung: Jesus, den Sohn Mariens,
Salomon, den Sohn Davids, und Isaak,
den Sohn Abrahams, nach Matth. 1, 1.
Aber auch die dreimal vierzehn Geschlech-
ter: von Abraham bis auf David, von
David bis zur babylonischen Gefangen-
schaft und von dieser bis auf Christus
fanden nun ihren beredten Ausdruck in
den so sichtlich zur Schau gestellten drei
Abtheilungen, in welchen das ganze inter-
essante und kostbare Altarwerk sich jedem
Anae präsentirt. Ich habe diese Deutung
mehreren Kennern, so auch dem verdienten
Dekan Dnrsch mitgetheilt, ohne indeß eines
andern belehrt zu werden, und sie ist in
die Oberamtsbeschreibnng von Gmünd über-
gegangen ; daher dürfte sie wohl auch im
„Archiv" niedergelegt werden.*)

Z Der Verfasser dieser Arbeit, um die
Heiligkreuzkirche in Gmüud hochverdient, ist in-
zwischen gestorben. Die obigen Zeilen, mit
müder Hand geschrieben. sind rührende Zeugen
für seilte Liebe zur hl. Kunst, die bis zum Tod
nicht erkaltete. Gerne haben wir dieselbeir beut
„Archiv" einverleibt und wir werden auch des
Verstorbenen Skizze über den St. Sebaldusaltar
folgen lassen. Die obige Auslegung der Mittel-
gruppe des Stammbaumaltars wird natürlich
Mühe haben, sich gegenüber den vielen mittel-
alterlichen Bildern der „hl. Sippe" zu behaupteil,
auf welchen regelmäßig Elisabeth und Maria
Salviue iit die Faiililiengrnppe ausgenommen
erscheinen. Vergl. A. Schultz, Jkouographische
Studien über die Sippe der hl. Jungfrau („An-
zeiger des german. Nativnalmuseums" 1870,
S. 313 ff.). Anm. d. R.
 
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