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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 10.1892

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Nr. 10
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Das Kloster Kirchheim im Ries und seine Kunstschätze, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15909#0097

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86

Das Rloster Rirchheim im Kies
und seine Runstschätze.

(Fortsetzung.)

Auf den 20. Juli ist das Gedächtnis;
der heiligen Kümmeruiß sixirt und der fünfte
Julibaud der Bollaudisteu enthält eine
lauge Abhandlung über sie. Der Verfasser
derselben hat, wie er selbst anmerkt, den
größeren Theil von Europa bereist um ihret-
willen; er fand überall fast Spuren ihrer
Verehrung, aber nirgends einen sicheren
historischen Grund für ihre Legende, nir-
gends einen sicheren Anhaltspunkt für ihre
Herkunft, Heimat, Lebenszeit, nirgends ge-
nügend bezeugte Reliquien. Vielgestaltig
ist schon ihr Name; in Belgien: Liberata,
Wilgefort, Entropia, Regufled, Regufleg;
in Flandern: Onkommera, Ontkommera,
Ontkommene (—Entkommene —Liberata);
in Frankreich: Combre, Encombre; in
Deutschland: Kümmernis;, Knmerana,Ohn-
knmmer, Sankt Gehnlf, Sankt Hülpe. Der
Referent der Bollaudisteu bekennt am Schluß
seiner Arbeit, das; er keine über 3—4 Jahr-
hunderte (d. h. über 1350 bezw. 1450)
hinanfreichenden Zeugnisse über diese Hei-
lige habe finden können und erklärt ihre
Legende für die verwirrteste unter allen
verwirrten Legenden, für ein Labyrinth,
atis dem er kaum hoffen könne einen Aus-
weg zu finden.

Die in verschiedeneit Sprachen vorliegen-
den und von dem Bollandisten-Referenten
in § VIII besprochenen Akten dieser Hei-
ligen find historisch fast ganz werthlos.
Die Hanptzüge ihrer Erzählung sind fol-
gende: Wilgefort, die Tochter eines Königs
von Portugal, sollte dem König von Si-
cilien zur Frau gegeben werden. Sie
weigerte sich, in die Heirat einzuwilligen
und wurde von den Königen ins Gefäng-
niß geworfen. Hier betete sie zum Hei-
land, er möchte ihre Gestalt so verändern,
das; kein Mann mehr ihrer begehre; oder
wie eine andere Version sagt, er möchte
sie sich selber, ihrem wahren Bräutigam
gleich gestalten. Ihr Gebet sei erhört
worden in der Weise, das; ihr ein Bart
wuchs, welcher ihr Antlitz in das eines
Mannes verwandelte. Beim Anblick der
verwandelten Tochter habe der Vater voll
Wnth Aufschluß über die Verwandlung
begehrt und sei von der Tochter dahin be-

lehrt worden, ihr einziger Bräutigam, der
Gekreuzigte, habe sie mit diesem Barte
begabt, damit sie ihm die Jungfrauschaft
bewahren könne. Die Antwort war die
Androhung, das; wenn sie den Gekreuzigten
nicht verleugne, sie selber ans Kreuz ge-
schlagen werde, und diese Drohung sei
dann auch an ihr zur Ausführung gebracht
worden. Als Jahr ihrer Passion wird
130 und 138 angegeben. Aus Deutsch-
land stammt die Version, wornach der eigene
Vater der Jungfrau nachgestellt habe und
sie gegen ihn durch das Wachsen des Bartes
beschützt worden sei. Der Episode mit dem
Geiger geschieht in diesen Erzählungen keine
Erwähnung. Dagegen sind den Akten der
Heiligen bei den Bollaudisteu Kopien von
zwei Wilgefortisbildern eingefügt, von wel-
chen das eine aus Belgien, das andere aus
Prag stammt; auf beiden kommt der spie-
lende Geiger und der abgelegte Schuh vor.
Das belgische Bild hat ganz die gleiche
Anordnung wie das in Kirchheim, nur daß
auf dem Altar neben dem Schuh noch ein
Kelch steht. Die Unterschrift desselben
erzählt, das Bild der hl. Wilgefort oder
Liberata habe einem Geiger, der zum Hoch-
gericht geführt wurde, den einen silbernen
Schuh zngeworfen und dadurch dessen Un-
schuld bezeugt. Eine spätere Version ist
die von Otte (Handb. der kirchl. Knnst-
archäologie. 5. Ausl. Bd. I. S. 581) ge-
gebene, wornach der Geiger die sterbende
Jungfrau mit feinem Spiel erquickt habe
und dafür von ihr mit dem Schuh belohnt
worden fei; wegen Diebstahls zur Rechen-
schaft gezogen, habe er nochmals vor der
Jungfrau gespielt und dieselbe habe, aus
dem Todesschlummer erwachend, ihm auch
den andern Schuh zugeworfen und dadurch
ihn vom Tod errettet.

Ob ein historischer Kern und welcher
dieser Legende zu Grund liegt, das ist eine
Frage, die wohl mit Sicherheit überhaupt
nicht gelöst werden kann. Der Referent
der Bollandisten spricht zum Schlüsse seine
Ueberzeugung dahin aus, daß hier jeden-
falls eine Fusion verschiedener Heiligen
und eine Zusammendichtung von Zügen
ans verschiedenen Legenden stattgefunden
habe. Ihm erscheine nur das als glaub-
würdig, daß in alten Zeiten eine Jungfrau
in heldenmüthigem Kampfe für ihre Vir-
ginität den Tod erlitten habe; der Name
 
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