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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 10.1892

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Nr. 11
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Wolff, Odilo: Rede über die christliche Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.15909#0105

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94

einzig Richtige, unmittelbar und aufs eugste
au diese anzuknüpfen, entweder genau zu
kopireu, oder mit demselben Geiste, den-
selben Formen weiter zu arbeiten, also
streng archäologisch die Kunst zu betreiben.

Und in der That gab es eine Zeit, in
der man in der mehr oder minder sklavi-
schen Nachahmung dieser oder jener ver-
gangenen Knnstperiode das einzige Heil
für die Kunst erwartete; es war dies die
Zeit vom Zusammenbruch des Rococco
rind Zopfstiles ab bis — nun wenn mau
will — bis heute, wenn dies „heute" auch
nicht die ganze heutige Knnstwelt einschließt.
Da suchte man an allen vergangenen Knnst-
perioden von den Egyptern uub Griechen
herab bis zum Rococco auzuknüpsen, sie
nacheinander wieder zu beleben, unver-
ändert, oder um daraus und daran den
schmerzhaft gesuchten Stil der Zukunft zu
finden. Nicht mit Unrecht und nicht ohne
Witz hat ein geistreicher Schriftsteller mit
Rücksicht ans dieses Hernmtasten und
Hernmsnchen in dieser Periode gesagt, wir
ständen jetzt am Register des Buches, wo
der ganze Inhalt desselben uns nochmals
in Kürze vorgeführt wird. Und daran an-
knüpfeud bemerkt Ph. Veilh: „Wahr ist's,
in der Knustwelt sind jetzt Römer und
Griechen, Byzantiner, Gothiker, Roman-
tiker, Rococco, Zopf und Chinesen, alle
Epocheir, alle Kunstentwicklungen in buntem
Gedränge gleichmäßig präseutirt. Wir
haben neben der Wahl auch die Qual;
und die allgemeine Gleichgiltigkeit, über die
man so oft klagen hört, wird bei diesem
Maskengedränge nur zu begreiflich."

Als man so die ganze Kunstgeschichte
gewissermaßen im Register repetirt hatte,
ohne daß sich die allgemeine und ungeteilte
Meinung auf eine Periode geeint hätte,
da stand man von neuem vor der Frage:
Was nun?

Die Erfahrung sagt uns, daß sowohl
die ausübenden Vertreter der Kunst, als
auch, was besonders wichtig ist, die berufe-
nen Schriftsteller der christlichen Kunst,
seien es Aesthetiker, Kritiker, Geschichts-
forscher, in ihren Ansichten hierüber weit
auseinander gehen, die verschiedensten Pe-
rioden der christlichen Kunst, wie nicht
minder die der vorchristlichen klassischen
Kunst in sehr ungleicher Weise beurtheilen
ein offenbarer Beweis, daß die Sache

noch nicht spruchreif ist. Solange aber
die Meister noch bei so weit von einander
liegenden Gesichtspunkten verharren, und
noch nicht das allgemein giltige, eine Ein-
heit ermöglichende, mit dem Guten aller
Zeiten übereinstimmende Grundprinzip ge-
funden ist, so lange ist es noch nöthig,
jedem ehrlichen Forschen und Streben
Raum zu geben.

Wenn wir also auch selbst nicht zuge-
steheu wollen, daß eine der bisher vorübcr-
gegangenen christlichen Kunstperioden das
Ideal voll und ganz erreicht habe, so
müssen wir doch sagen, daß alle in Wahr-'
heit nach Kräften gestrebt haben, das Beste
zu erreichen, gemäß den Umständen der
Zeit, mit denen sie zu rechnen hatten, die
mitunter nach der einen oder andern Seite
hin ungünstig, drückend, verschiebend, vom
reinen christlichen Jveal abweichend wirkten.
Denn offenbar hatte jede Periode ihre Auf-
gabe gehabt und hatte sie zunächst für sich
selber zu sorgen; keiner derselben standen
die Bedingungen zu Gebote, unter welchen
eine vollkommene, eine universal giltige
Kunst sich hätte ausbilden können.

Dennoch müssen wir gewiß jeder einzel-
nen Periode einen größeren oder geringeren
Antheil an der Zukunft der christlichen
Kunst zuerkennen und zwar, um dies gleich
hier zu sagen, hauptsächlich in formaler
Beziehung. Und in dieser Beziehung nehme
ich die alten, vorchristlichen, klassischen Stile
nicht nur nicht aus von dem Einfluß, son-
dern weise ihnen einen großen und sehr
großen Antheil zu. Sie haben vielfach
den Vorzug reinen, klaren Ebenmaßes,
der statuarischen Ruhe, der großartigen
Anordnung, der wuchtigen Kraft. Warum
sollen wir jene äußerst feine Berechnung
der ästhetischen Wirkung jedes einzelnen
Baugliedes in der griechischen Architektur
nicht verwenden dürfen für die christliche
Kunst? Und wäre etwa in der Plastik und
Malerei jene der griechischen Kunst eigene
Würde nnd^Anmnth, jene „Erhabenheit
und stille Cmwße", wie sie Winkelmann
nennt, aus unserer christlichen Kunst zu
verbannen? Hat ja doch die Kirche der
Väter es nicht für unkatholisch und un-
christlich gehalten, znm Ausbau des die
ganze Kirche überwölbenden Domes der
katholischen Lehre die Egypter und Griechen
ihrer formalen Bildung nach auszubeuten.
 
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