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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 11.1893

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Beck, Paul A.: Verschwundene und verschollene Altar- und Schnitzwerke Jörg Sürlins des Jüngeren, [3]
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39

vaterländischen Alterthürner zn Stuttgart erhalten.
Derselbe Langeisen tvird bei Sulger a. a. O.
S. 105 im Jahr 1514 unter der Regierung des
Abtes Georg II. Fischer als Meister (1474 bis
1514) des höchst kunstreichen und mit Statuen
geschmückten Chorgestühls, rechts vom Hochaltar
zn Zwiefalten angeführt. Leider wurde von
diesen vielen Kunstiverken bei dein in den Jah-
ren 1738—1753 erfolgten Neubau der Kirche
einer verfehlten Geschmacksrichtung zuliebe so
manches entfernt und beseitigt, ohne daß man
immer wüßte, wohin diese mit Unrecht hinaus-
geschafften Kunstgegenstände, namentlich die Chor-
stühle, gekommen sind.

In dem früher Kloster-Zwiefaltenschen Pfarr-
dvrfe, dem ganz in der Nähe von Ennetach gelege-
nen Bingen a. d. Lauchart im Fürstenthum
Hohenzollern-Sigmaringen befindet sich in der
Pfarrkirche neben vier die Geburt und Darstel-
lung Christi im Tempel, die Anbetung der Weisen
und den Tod Marias vorstellenden Zeit bl o ur-
schen Holzbildertafeln — mit welchen wir uns
aber hier nicht zu befassen haben — eine Reihe
von Schnitzwerken, wohl Ueberresten eines größe-
ren Altarwerkes, nämlich fünf zusammengehörige,
Maria mit dem Kinde, Maria Magdalena, Jo-
hannes den Täufer und die hl. Apostel Petrus
und Paulus darstellende Einzelfiguren, je 1,50 m
bis 1,60 m hoch, sowie zwei selbständige Werke,
die 1 m hohe, 0,95 m breite Gruppe der Beweinung
Christi mit vier Figuren (sogen. Pieta), wahr-
scheinlich das Mittelstück eines längst zerschlagenen
Altares und ein 1,14 m langes, 1,32 m hohes
Holzrelief mit der Darstellung der die Gewänder
des Herrn vertheilenden Kriegsknechte mit sieben
Figuren, wahrscheinlich das Bruchstück einer
sigurenreichen Darstellung der Kreuzigungs-
gruppe, welche Skulpturen, namentlich die fünf
Einzelstücke, man gleichfalls Jörg Sürlin d. I.
zuzuschreiben geneigt ist. Laut der Abhandlung
Hofrath Or. F. U. Lehners über diese Kunstwerke
(mit elf photographischen Abbildungen von Ed-
win Bilharz, 2. Ausl., Sigmaringen, Buchhand-
lung von P. Liehner, 1870) stammten rein nach
mündlicher Ueberliefernng ohne historische Belege
nicht nur die Zeitblomschen Tafeln, sondern auch
die oben angeführten fünf Einzelfiguren von dem
ehemaligen, zwischen 1787 und 1792 entfernten
Hochaltar der Bingener Pfarrkirche, bei dessen
Abbruch die Architekturstücke, das geschnitzte und
vergoldete Ornamentwerk zerschlagen und ver-
schleppt worden seien. Lehner ist der Ansicht, die
fünf Einzelfiguren, und zwar die Madonna, wie
beim Blaubeurer Altar, in der Mitte und links
und rechts von derselben je zwei Heilige, werden
wahrscheinlich den Mittelschrein des niedergelegten
Hochaltares gefüllt und die in: Maße allerdings
entsprechenden Zeitblomschen Tafeln die Altar-
flügelgebildethaben,in welchem Fall die interessante
Thatsache des der Zeit nach ganz gut möglichen

x) S. Sulger a. a. O., woselbst die beiden
alsülmeoses sculptores bezeichnet werden, welche
sieben Jahre (1510—1517) an den betreffenden
Altären gearbeitet. Ein Ulmer Bildschnitzer
Langeisen (Laugeneisen, Langensee rc. ?) ist bis
jetzt in der Ulmischen Kunstgeschichte nicht be-
kannt.

Zusammeuarbeitens von Sürlin d. I. und Zeil-
blon: vorläge, lieber den ursprünglichen Standort
der beiden Gruppenreliefs, welche wahrscheinlich
die Mittelstücke längst zerschlagener Seitenaltäre
bildeten, liegen nicht einmal mündliche Angaben
vor. Alle diese Figuren seien nach dem Abbruch
seit „undenklichen Zeiten" auf dem Dachboden
der Kirche herumgelegen, dann im Verlaufe der
Zeit da und dorthin, znm Theil in zwei nahe
Feldkapellen gekommen. Das Relief mit der
Kleidervertheilung war in einer nahen dem hl.
Eulogius geweihten Feldkapelle predellaartig unter
dem Altarblatt eingelassen; die Pieta zierte —
seit wann? — einen Nebenaltar der Pfarrkirche.
Andere/) so z. B. Prof. l)r. P. Keppler (in einer
Notiz in den: Werke „Württembergs kirchliche
Kunstalterthümer", zu Zwiefalten, S. 236 oben)
nieinen, diese Schnitzwerke werden, sei es im
ganzen oder einzeln, anläßlich des um die Mitte
des vorigen Jahrhunderts vorgenvnnnenen Neu-
baus der Zwiefalter Klosterkirche, wo ja erwie-
senermaßen manches von der alten Kirche weg-
kam, von Zwiefalten nach Bingen verbracht
worden sein, welches zwar damals schon längst
einen andern Herrn hatte, dessen Pfarrei aber
nebst manchen Rechten immer noch zun: Bene-
diktinerstift Zwiefalten gehörte. Diesfalls läge
freilich der Schluß auf Provenienz dieser von
Zwiefalten nach Bingen geivanderten Schnitz-
werke aus der gleichen Künstlerhand Ulmischer
Kräfte, und zwar Sürlius d. I. und Langeisens,
welche ja in Zwiefalten geschaffen haben, um so
näher. Aber auch, wenn die Skulpturwerke
ursprünglich aus der Meisterwerkstätte gleich un-
mittelbar nach Bingen geliefert worden sind,
ist dieser Schluß kein gewagter, denn das Stift
wird die Ausschmückung der ihm unterstehenden
Kirchen wohl denselben künstlerischen Händen
übertragen haben, welche es selbst an seinem
Sitze beschäftigte. Nach Lehner wird man indeß,
wenn :::an den gesannnten Charakter der Figuren,
die Haltung, den Ausdruck der Köpfe, die Be-
handlung der Haare, die Gelvandung u. s. w. in
Betracht zieht, nicht fehlgehen, auch ohne bindende
äußere Zeugnisse, diese Skulpturen für Werke
der Ulmer Schule zu halten. Eines der beiden
Reliefstücke, die Pieta, will allerdings einem hier-
zulande weniger gekannten Meister, dem Tilman
Riemenschneider, zugeschrieben werden, wo-
für wir uns indeß nicht entscheiden können. Das
ist noch die harte, strenge, steife, ergreifende
Ulmer Schule, und nicht die bereits weichere
und gewandtere fränkische Schule! Warum denn
i:nn:er weiter schweifen?! inöchten wir auch hier
fragen. Lehner selbst äußert sich zu dieser Cvntrv-

verse folgendermaßen: „.Die Riemen-

schneiderschen Werke zeigen einen viel freier::
Schwung der Linien, einen viel weicher:: Fluß
der Gliedmaßen und Gewänder und ganz andere
Physiognomien. Um wie viel steifer und hölzer-
ner liegt der tobte Christus in der Bingener
Pieta in: Vergleich mit der gleichen Darstellung
Riemenschneiders in den Kirchen zu Haidingsfeld

x) Ist überhaupt anzunehmen, daß eine ein-
fache Dorfkirche so reich :::it Kunstwerken durch
das Stift ausgeschmückt worden ist?!
 
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