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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 11.1893

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Nr. 4
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Gedanken über die moderne Malerei, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15910#0049

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41

Nachdenken zu veranlassen und die Lösung an-
zubahnen.

Der Schreiber dieser Zeilen steht der neuesten
Entwicklung der Malerei nicht mit rosigem Opti-
mismus, aber auch nicht mit galligen: Pessi-
mismus gegenüber. Er gehört auch nicht zu
denen, welche in der ganzen Geschichte der Kunst
seit der Renaissance nur ein unaufhaltsames
Sinken in immer bodenlosere Tiefen erkennen.
y Er glaubt, seine Nichtvoreingenommenheit nicht
besser beweisen zu können, als indem er gleich
zum Beginn dieser Studie die Lichtseiten, die
Erfolge und Fortschritte der heutigen Malerei so
vollständig verzeichnet, als sie ihm zum Bewußt-
sein gekommen sind.

Dieselbe verdient vor allem ein glänzendes
Fleißzeugniß. In der That, kaum zur Zeit
der Viel- und Schnellmalerei am Ende des vorigen
und Anfang dieses Jahrhunderts ist soviel ge-
inalt worden wie heutzutag. Wieviel Fleiß und
Schweiß, tvelche Summe von unverdrossener
Arbeit repräsentirt nur eine einzige der Mün-
chener Jahresausstellungen, repräsentirt oft ein
einziges dieser dreitausend Bilder! Wie viele
Hände müssen mit rastlosem Fleiß arbeiten, bis
diese Hunderte von Quadratmetern Leinwand
bemalt sind, bis nian jährlich diese etliche sechzig
Säle füllen und daneben noch in viel kleineren
Intervallen als früher große internationale Aus-
stellungen veranstalten kann! Wir können zu-
nächst von Ziel und bleibendem Erfolg dieses
Arbeitens ganz absehen; dem Eifer und der
Jntensivitüt desselben werden wir unsere An-
erkennung nicht versagen. Arbeit ist Macht,
Arbeit ist Leben, Arbeit ist der Grundfaktor für
die Weiterentwicklung einer Wissenschaft oder Kunst.

Man findet bald, daß dieser neu erwachende
frohe Eifer, dieses rüstige Schaffen und Streben
hauptsächlich die Folge davon ist, daß manche
Kette zerbrochen, mancher Schulzwang gesprengt
wurde, und man kann sich zunächst auch hier-
über freuen. Der Bann der Antike, welcher
von der Renaissance an sich immer beengender
um die Brust der Malerei gelegt hatte, welcher
nach dem verunglückten Befreiungsversuch des
Zopfes in der Periode des Klassizismus seine
Herrschaft mit neuen Ketten sicherte, welcher
die Akademien bis in die letzten Zeiten völlig
regierte, ist jetzt ganz gefallen, und eine Kunst
regt ihre Schwingen, die von deutschem Boden
sich nährt und in deutscher Luft athmet. Diese
Kunst kommt nach und nach auch wieder in
einige Fühlung mit dem Volk, dem sie sich ganz
entfremdet hatte. Sie mischt in ihre Farben
einen starken Tropfen demokratischen Oels; sie
wendet sich wieder den: Volksleben zu und ent-
deckt in ihm wieder jene reichfließende Quelle
schöner, rührender, poetischer Züge und Motive,
aus der die altdeutsche Kunst mit solchem Ge-
schick zu schöpfen wußte. Ja in neuester Zeit
— wie wir noch sehen werden, kein ganz un-
bedenkliches Unterfangen — hat sie noch um
einige Schichten tiefer ins Volksleben gegriffen:
sie wendet sich nicht mehr bloß dem dritten,
sondern dem vierten Stand zu; sie kehrt in den
Fabrikräumen ein, wo der Sklave der Maschine
arbeitet; sie befaßt sich mit den sozialen Bestre-

bungen, mit den sozialdemokratischen Umtrieben,
Versammlungen, Aufständen; die Gestalt des
Fabrikarbeiters mit den schwieligen Händen, dem
schmutzigen Gewand, dem rußigen Gesicht ist
keine seltene Figur mehr auf ihren Bildern.
Wir anerkennen zunächst gerne auch hierin nicht
bloß eine Erweiterung des Gebiets, welche zu
neuem Schaffen spornt, sondern auch einen lobens-
werthen Charakterzug der modernen Malerei,
welcher gesunder und sympathischer ist als der
hohle Aristokratismus ihrer Vorgängerin, die fast
nur mehr das Parquet betrat und oft so wider-
lich nach dem Salon duftete, auch als der affek-
tirte Klassizismus der früheren Malerei, der doch
dem eigentlichen Geist der Antike so ganz fremd
blieb, soviel er sich mit deren äußeren Formen
zu schaffen machte.

Die Zeit, welche man durch Einschränkung
der Pflege der Antike gewann, kam der Natur
zu gut, jenem Naturalismus, welcher für die
Kunst unentbehrlich, ihre oberste Formenschule
imd ihr Gesundbrunnen ist. Namentlich ent-
wickelte sich das Landschaftsbild zu neuer, herr-
licher Blüte. Was die Kunst leistet für Weckung
des Natursinnes, für Erschließung des Auges
zum Genuß des Naturschönen, das trägt nicht
bloß Zinsen für sie selbst, sondern ist zugleich
ein werthvoller Beitrag zur Bildung, Veredlung
und Verklärung der Volksseele und des Volks-
lebens. Das soll ihr hoch angerechnet werden
und diese Thätigkeit ist eine segensreiche. So
nianches in den modernen Gemäldeausstellungen
thut dem Aug' und Herzen weh; aber es fehlen
doch auch nie Landschaftsbilder, welche Aug' und
Herz erquicken und für Vieles entschädigen. Den
schönen Fortschritt gerade in der Naturschilderung
dankt aber die heutige Malerei nebst der werth-
vollen Mithilfe der Photographie besonders der
neuen Technik der Hell- oder Freilicht-
malerei.

Ist auch sie unter die Lichtseiten der Ent-
wicklung der Malerei zu rechnen? Die Urtheile
schwanken zwischen Verwerfung und unbedingter
Bewunderung, zwischen Geringschätzung und
maßloser Überschätzung. Hans Makart hatte
mit seinen: genialen, kühnen (leider oft frechen)
Pinsel den ersten Riß in das herkömmliche
koloristische Verfahren gestoßen und gezeigt,
welche ungeahnte und ungetveckte Zauber und
Kräfte noch in der Farbe schlummern. Damit
leistete er den: Eindringen des französischen
Pleinair in Deutschland Vorschub. Worin be-
steht diese Volllicht- oder Freilichtmalerei und
was bezweckt sie? Vor allem ist es abgesehen
aus stärkste Betonung des spezifisch male-
rischen, des koloristischen Prinzips. Halte man
bisher die Farben mehr als ein Accidens ange-
! sehen, den: freilich große Wichtigkeit zukomme,

! das aber doch erst in letzter Linie in Wirkung
treten könne und nur das Kunstwerk zu voll-
enden habe, welches Zeichnung mit Koinpvsition
geschaffen, so wurde nunmehr die Farbe als
Hauptsache, die Farbenwirkung als Hauptzweck
angesetzt. Der Farbe komme in der Malerei
dieselbe Rolle zu wie dem Ton in der Musik;
durch Farben vor allem habe der Maler seine
Gedanken und Gefühle auszusprechen, dnrch Far-
 
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