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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 11.1893

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Nr. 4
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Gedanken über die moderne Malerei, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15910#0051

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43 —

nicht die Zweckfrage, sondern umgeht sie, ist keine
vernünftige Beantwortung, sondern eine brutale
Leugnung derselben. Der Satz: die Kunst hat
keinen anderen Zweck als die Kunst, ist wider-
sinnig; l’art pour l’art est une absurdite (Lam-
menais). Die absolute Relationslosigkeit der
Malerei ist theoretisch unhaltbar, praktisch un-
durchführbar; sie muß ja sofort Relation suchen,
sich in Beziehung zu anderen setzen; verliert sie
diese Beziehung, so ist sie zum Tod vernrtheilt.
Das alles ruft die Frage: wozu? und diese
Frage fordert klare, bündige Antwort. Kann
einziger und letzter Zweck der Malerei sein,
durch Farben den Sehmuskel in Erregung zu
bringen, aus die Netzhaut Farbenbilder hervor-
zurufen? oder aus jener Beziehung zur anderen
Geld zu prägen? Dieser Zweck bleibt ja sicher
in Kraft, aber wehe der Kunst, wenn er der
einzige ist, wenn er nicht durch höhere geleitet
und gehoben wird!

Scheinbar eine sehr bestimmte Antwort gibt
auf die Zweckfrage die Schule der ganz konse-
quenten Naturalisten und Realisten. Ihr Pro-
gramm lautet: die Malerei hat die Natur
wiederzugeben, möglichst getreue Ab-
bild e r der Wirklichkeit zu schaffen; es
war Verirrung und schwärmerische Illusion, wenn
sie in früheren Zeiten Idealen nachjagte, Ideen
darstellen, Uebersinnliches in sinnliche Formen
fassen wollte, — die Natur ist ihr einziges Ideal,
ihre Bilder nachzubilden ihr höchster Zweck.
„Kämpfend und siegend ist die heutige Kunst
vom Ideal zur vorbehaltlosen Verehrung der
Natur zurückgekommen, welche ja allerdings
alles umschließt." Z „Das wahre Ideal der
Kunst besteht in der Entwicklung der Liebe zur
und Achtung vor der Natur." Der Maler hat
nichts von sich zu geben, nur wiederzugeben,
nicht zu komponiren, bloß zu kopiren, nicht zu
erfinden, bloß zu finden und das Gefundene mit
dem Pinsel zu fixiren. So hat sich nun eine
große^ Schule der Natur verschrieben mit Hand
und Herz, mit Leib und Geist; sie kennt kein
anderes Ideal als die Natnr, kein anderes Ob-
jekt der Darstellung als die Erscheinungen der
Wirklichkeit, keine andere Stoffquelle als die
äußere Anschauung, keinen besseren Lehrmeister
als das Modell, kein höheres Ziel als Kopirung
der Natur, keine strengere Pflicht als bei dieser
Kopirung möglichst objektiv zu Werk zu gehen.

Wer sieht aber nicht auf den ersten Blick,
daß diese Antwort keine Antwort ist? Wozn
bildest du die Natur nach? Das ist ja eben die
Frage. Die Natur haben wir ja schon in viel
richtigerer Wirklichkeit, als du je sie zu erreichen
vermagst; welcher Zweck rechtfertigt also deine
Nachbildungsversuche? Worin soll ferner die
Forderung absoluter Objektivität der Nachbil-
dung begründet sein? Erschwert sie nicht die
Beantwortung der Zweckfrage? macht sie nicht
diese Mühe des Nachbildens doppelt unbegreif-
lich ? Erwarten wir nicht von einem Gemälde,
daß es uns eine Gabe aus dem Eigenen seines

Z Janitschek, „Geschichte der Malerei",
S. 632.

2) W. Holm an Hunt in „New Review" (1891).

Meisters, eine Mittheilung aus seinem Innern
bringe, nicht bloß eine aus der Natur geholte,
von der Palette weggenommene Gabe, auch nicht
bloß einen Beweis für die Schärfe seines Auges
und die Sicherheit seiner Hand? Sollte diese
Erwartung und dieses Verlangen ganz unberech-
tigt sein? Sollte in der That ein rein objek-
tives Schaffen, bei welchem nur äußere Organe
mechanisch betheiligt sind, die innerste Persön-
lichkeit aber unthätig und latent bleibt, ein
wahrhaft künstlerisches, das allein berechtigte sein
können ? Ist überhaupt solche Objektivität möglich ?

Hier herrscht, wie man klar sieht, ein ge-
waltiges Mißverständniß, als ob Natur und Kunst
identisch und als bloße Kopirung der Natur
schon künstlerische Thätigkeit wäre. Der geist-
volle Verfasser von „Rembrandt als Erzieher"
citirt gut deu Ausspruch Göthe's: „Wenn ich
den Mops meiner Geliebten zum Verwechseln
ähnlich abgebildet habe, so habe ich zwei Möpse,
aber noch immer kein Kunstwerk." Sehr ver-
nünftig nrtheilt Max Bernstein. Z „Die neue
Schule tadelt, daß die Alten nicht a b schrieben,
sondern umschrieben, daß sie komponirt und
nicht kopirt haben. Sie behauptet, daß die Natur
immer und überall der künstlerischen Wiedergabe
ohne weiteres würdig und fähig sei. Das ist
ein Jrrthum. Mit der Untersuchung der Frage,
ob alles Wirkliche ohne weiteres kunstwürdig sei,
braucht man sich garnicht aufzuhalten: denn
niemand ist fähig, die Natur abzuschreiben, ohne
seine Handschrift dabei zu verrathen. Zehn
Maler vor denselben Gegenstand gestellt, werden
zehn verschiedene Bilder hervvrbringen. Je
größer die Begabung der Künstler, desto größer
wird die Verschiedenheit der Bilder sein. Es ist
nicht wahr, daß irgend ein Dichter oder Maler
die Welt schildern könne, wie sie ist. Jeder ver-
mag sie nur zu schildern, wie er sie sieht. Es
kommt mindestens ebensoviel darauf an, tv i e er
sieht, als iv as er sieht. Nirgends im unermeß-
lichen All fließt eine Quelle der Kunst als im
Innern des Künstlers. Das „Ding an sich"
ist nicht nur der wissenschaftlichen Erkenntniß,
sondern auch der künstlerischen Nachbildung un-
zugänglich. Jener Jrrthum ist gefährlich, weil
er an die Stelle der ersten Forderung — daß
der Schaffende Schöpferkraft habe — das thö-
richte und unerfüllbare Verlangen stellt, daß der
Künstler sich der Natur gegenüber seiner Persön-
lichkeit und seines Gestaltungsrechtes entüußere,
und weil er bis zur letzten Folgerung durch-
geführt die Lehre verkündigt, daß bei der Dar-
stellung natürlicher Körper die menschliche Seele
sich nicht in das Geschäft mischen dürfe."

Ja freilich ist die Natur das Grundbuch der
Malerei, das Bilderbuch, das der Finger Gottes
gemalt hat. Aber es ist dem Maler nicht zum
mechanischen Abschreiben und Abmalen gegeben,
sondern zu vernünftiger, freier Benützung. Er
soll ans ihm schöpfen, — dazu bedarf es aber
schöpferische Kraft und Thätigkeit des eigenen
Geistes. Die Natur, welche er darstellen will,
dieses Stück Wirklichkeit, Landschaft, Thier- oder
Menschenleben muß er durch sein Auge in sein

*) „Münchener Jahresausstellung 1889",S.27.
 
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