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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 11.1893

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Nr. 10
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Der Chor der ehemaligen Klosterkirche in Blaubeuren, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15910#0103
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92

im Mittelkasten nicht weniger als. zehn
Statuetten abhanden gekommen sind. Die
Statuen und Brustbilder wie die Reliefs
weisen auf dieselbe Schule, aber aus ver-
schiedene ausführende Hände; die Brust-
figuren des Heilandes und der Apostel in
der Predella stehen an Werth unter den
übrigen Skulpturen. Sehr bedeutend sind
die großen Statuen des Mittelschreins,
die Madonna mit dem Kind, zu Häupten
eine schwebende Engelgruppe mit der Krone,
rechts von ihr St. Johannes der Evan-
gelist und Scholastika, links St. Johannes
Baptista und Benediktns. Nicht geringer
sind die drei Ganzstatnen des oberen Bal-
dachins, Christus als Schmerzensmann,
seine Wunden weisend, und Maria und
Johannes in der Compassion; dazu ein
Engel mit dem Kreuz (sein Pendant fehlt)
und die Brustbilder der vier abendländi-
schen Kirchenlehrer und der zwei Diakonen
Laurentius und Stephanus.

Der Typus der Figuren ist unverkenn-
bar der der schwäbischen, näherhin der
Ulmer Schule vom Ende des 15. Jahr-
hunderts. Ein kräftiges Streben nach
Naturwahrheit durchblitzt die im Ganzen
noch maßgebende gothische Tradition. Die
Gewandungen sind reich und sorgfältig ge-
ordnet. Das Auftreten der Figuren läßt
zu wünschen übrig; die angestrebte an-
mnthvolle Bewegung, welche in der Haupt-
figur der Madonna schön zur Geltung
kommt, artet in den Gestalten der beiden
Johannes und des Benediktus in eine
kraftlos eingeknickte, verlegen affektirte
Haltung aus. Die Gesichter sind mehr
derbkräftig als aumuthig und bekunden
mehr gemüthvolle Ruhe als regeres gei-
stiges Leben oder stärkeren Affekt. Das
Angenspiel hat wenig Feuer, ist bei den
beiden Johannes im Mittelkasten und bei
dem Johannes in der Krönung sogar et-
was müd und schläfrig, in andern Ge-
sichtern starr und gläsern. Gleichwohl
imponiren die Gestalten im Schmuck ihrer
schönen ursprünglichen Fassung durch den
Ernst, die Hoheit, die Gemüthstiefe der
Auffassung, durch den kräftig ausgeprägten
Stempel eines kerngesunden Glaubens,
einer treuherzigen, tiefreligiösen Gesinnung
und durch den gewissenhaften Fleiß der
Ausführung. Die beiden Flügelreliefs,
Christi Geburt und die Anbetung der

Könige, sind ebenfalls mit peinlicher Sorg-
falt durchgebildet, leiden aber an mangel-
hafter Komposition. Zwei kleine Aufsätze
über den Flügeln sind mit dem Relief-
brustbild des Abtes Heinrich Fabri und
des Grafen Eberhard im Bart geschmückt;
unter dem ersteren wurde der Kirchenbau
begonnen, der letztere, mit Fabri befreundet,
stellte seinen Baumeister Peter von Coblenz
ihm zur Verfügung.

So sicher nun die Ulmer Herkunft des
ganzen Werkes ist, die Frage, wer näher-
hin der Meister der Skulpturen und
Schnitzereien sei, bereitet uns doch große
Verlegenheiten, noch mehr fast die Frage,
wer als Urheber der Gemäldecyklen aus
dem Leben des Täufers und aus der
Passion anzusetzen sei. Es legte sich nahe,
daß man dem Meister des Chorgestühls,
als welchen sich inschriftlich Jörg Sürlin
von Ulm nennt, dem Sürlin, den eine
Inschrift am Levitenstnhl also preist: Sür-
lin artificis nomen extolere quia velis,
figuris deificis pinxit qui dominum de
coelis 1496, — daß man ihm auch das
Altarwerk zutheilt. Nun ist freilich Jörg
Sürlin der Steilere schon 1491 gestorben
und man müßte also den jüngeren Sürlin
als den Meister des Chorgestühls und
Altars ansehen. Leider ist der Statnen-
schmuck des ersteren vollständig zerstört,
so daß es nicht mehr möglich ist, zwischen
ihm und den Skulpturen des Altars Ver-
gleichungen anzustellen. Freilich nach dem,
was wir sonst vom jüngeren Sürlin wissen
und haben, möchte sowohl der Altar fast
als ein zu bedeutendes Werk für ihn er-
scheinen, wie das obige Lob für ihn zu
voll klingt. Es wäre daher immerhin
denkbar, daß gleichzeitig mit der Inan-
griffnahme des Chorbaues auch schon Jörg
Sürlin dem Aelteren der Auftrag ertheilt
worden wäre, die Innenausstattung des
Chores zu besorgen und daß von ihm
wenigstens noch der Entwurf für Altar,
Dreisitz und Chorgestühl gefertigt worden
wäre; vielleicht ist in diesem Sinne das
eigenthümliche pinxil der Inschrift zu
nehmen. Ansgeführt hat Sürlin der
Aeltere weder die Statuen noch die Re-
liefs; das zeigen schon die Köpfe, welche
an Anmnth, Zartheit, adeliger Feinheit
weit zurückstehen hinter den Brustbildern
am Ulmer Chorgestühl. Nach dem Tode
 
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