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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 12.1894

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Nr. 3
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Die Bemalung unserer Kirchen, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15911#0024

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19

fähig fühlte, die ganzen und starken Far-
ben zu meistern und zu beherrschen und
daher im Gefühl der Schwäche die schwä-
cheren Farben bevorzugte; sie sind immer-
hin leichter zu stimmen und Stimmnngs-
fehler sind bei ihnen erträglicher.

Auch die hohe Wichtigkeit und
Bedeutung, die ungemeine Leistnngs-
kraft der monumentalen Bemalung, selbst
der rein dekorativen, sängt man wieder
an nach Gebühr zu würdigen. Was die
Farben hier Gutes zu stiften, welches Un-
heil sie anznrichten vermögen, faßt Viollet
im Folgenden treffend und schön zusammen:
„Die dekorative Malerei vergrößert oder
verkleinert ein Gebäude, macht es hell
oder düster, verschiebt seine Proportionen
oder bringt sie zur Geltung; sie entfernt
oder bringt nahe, beschäftigt ans ange-
nehme Weise oder langweilt, zerstreut oder
sammelt, verdeckt die Fehler oder steigert
sie; das ist eine Fee, welche Gutes oder
Böses verschwenderisch austheilt, aber welche
niemals indifferent bleibt; nach ihrem Be-
lieben vergrößert oder verringert sie die
Säulen, verlängert oder verkürzt sie die
Pfeiler, hebt sie Wölbungen empor oder
bringt sie dieselben dem Auge näher, weitet
sie die Flächen aus oder zieht sie dieselben
zusammen, bezaubert oder beleidigt sie,
concentrirt sie die Gedanken ans Einen
Punkt oder zerstreut sie dieselben und
nimmt sie unnöthig in Anspruch; mit
Einem Pinselstrich zerstört sie ein weise er-
dachtes Werk, aber sie macht auch wieder
aus einein unscheinbaren Bau ein Werk,
reich an Reiz, ans einem kalten und nackten
Saal einen lieblichen Ort, wo man gern
träumt (und betet) und welchen man nicht
so leicht vergißt" (l. c. p. 79).

So Großes, fast Wunderbares vermag
diese künstlerische Hilfsmacht zu leisten,
wenn sie sich zur Hauptmacht, der Archi-
tektur in die richtigen Beziehungen setzt
und verständig gehandhabt wird; so viel
kann sie verderben, wenn sie nichts nach
der Architektur fragt und verständnißlos
angewendet wird. Vergleicht man die an-
tike und mittelalterliche Monumentalmalerei
mit unserer heutigen, so kann man darüber
nicht im Zweifel sein: dort eine staunens-
werthe Sicherheit, welche kaum irgendwo
fehlgreift, eine klare Kenntniß der Grund-
gesetze, eine solide Technik, eine volle Be-

herrschung der koloristischen Kräfte; hier
ein unsicheres, zages Tasten und Suchen,
ein Experimentiren unter ganz ungenü-
gender Führung des Gefühls und Ge-
schmacks, ein Spielen mit den Farben, das
nur durch Zufall und selten harmonisch
endet, fast in der Regel zu Disharmonien,
zu peinlichen und schreienden Mißklängen
führt. Es wird leider wahr sein, was
Kuhn sagt, daß unter zehn restanrirten
(neu bemalten) Gotteshäusern kaum eines
ist, dessen Restauration in Wahrheit als
wohlgelnngen bezeichnet werden kann. Doch
ist es nach und nach, besonders durch das
Studium der Alten, gelungen, einzelne
Gesetze und feste Prinzipien zu
gewinnen, welche nur noch nicht überall
dnrchgedrungen sind und daher auch hier
wieder anfgesührt, begründet und einge-
schärft werden müssen.

1) Als o b e r st e s Gesetz ist groß
und deutlich anznschreiben, daß d i e archi-
tektonische Malerei nicht bloß
n a d> malerischen Gesetzen, son-
dern auch nach den Gesetzen der
Architektur zu leben und sich zu
richten hat. In dem intimen Bund,
welchen hier Architektur und Malerei
eingehen, repräsentirt der Sohn der
Architektur, der Ban, den Mann, die
Malerei die Frau. Die Frau hat
sich dem Mann unterzuordnen und sich
seinen Befehlen zu fügen. Sonst ist Un-
friede und widerwärtiger Streit und gegen-
seitige Schädigung die Folge. Wer da
ist, hat Recht und spricht das erste Wort,
wer nachher kommt, muß sich mit ihm
vertragen. Der Stil des Baues ist un-
bedingt maßgebend für den Stil der
Malerei; die Hanptlinien des Baues be-
stimmen den malerischen Plan, die Dispo-
sition und die Verhältnisse des ersteren
die malerische Disposition. Die Malerei
darf das Concert der architektonischen Li-
nien nicht stören, darf die tragenden Haupt-
glieder nicht schwächen, die secnndäreu
Theile, die bloßen Füllungen nicht unge-
bührlich betonen, leichte Zierglieder nicht
behandeln wie konstruktive Stützen. Nur
Eines ist der Malerei erlaubt: die Ge-
danken und Tendenzen der Architektur
durch die Macht der Farbe zu betonen,
zu bekräftigen, zu unterstützen, sodann
auch sie fortzuführen, da einznsetzen, wo
 
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