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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 12.1894

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Nr. 7
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Die Bemalung unserer Kirchen, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15911#0064

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58

Renaissance aulehueu. Es bleibt nur noch
das Ornament übrig; denn Grundrißbil-
dnng und Höheueutwickluug spielen hier
nicht mit. Sollte vielleicht das Ornament
in seiner Form oder in seiner Gründung
keine vollen Farben zulassen? Aber auch
hier muß die Antwort zu Gunsten der
ganzen Farben gegeben werden; denn eben-
sogut wie die Dekorationsmotive der An-
tike und der Renaissance vertragen auch
die Ornamente des Barock-, Rokoko- und
Zopfstiles die vollen, ganzen Farben.
Diese Perioden verwendeten ja viele antike
ornamentale Motive. Daß die Mehrzahl
derselben zu langgewundenen Schnörkeln
lind willkürlichen Figuren verzerrt und
mit derselben in phantastischer Weise
Frucht- und Blumengewinde, Schild- und
Bandschmnck und dergleichen verbunden
wurde, begründet doch nicht den Ausschluß
der vollen, satten Farben."

Die Beweisführung des Verfassers
taugt nichts. Er wird doch wahrlich nicht
behaupten wollen, daß zwischen den Ba-
rock- und Zopfbauteu und den antik-
klassischen kein wesentlicher Unterschied
walte. Es trennt sie ein grnudwesent-
licher Unterschied und eben dieser ver-
bietet , ohne weiteres die antike Polychro-
mirnng auf Bauteil dieser Spätstile zu
übertragen. Freilich sind es ja znm Theil
antike Motive, welche in diesen Stilen zur
Verwendung kommen; aber die strengen
Gesetze antiker Architektur sind vollständig
verlassen und jene Motive sind ganz anders
verwendet. Der Barock und Zopf über-
treibt die Gliederungen, häuft und ver-
vielfacht die Pilaster, die Prosilirungeu
der Gesimse und des Gebälks, vergrößert
und vergröbert sie, setzt konstruktive Theile
in Schwingung, verkröpft und bricht mög-
lichst oft die geraden Linien der Architrave,
Friese, Kranzgesimse. Diese Architektur
ist selbst von einem malerischen Drang be-
sessen und sie bietet kein ernstes und ruhiges
Sllbstrat mehr für eine ernste und kräf-
tige Bemalung, wie die antiken Bauten.
Die Extravaganzen jener Stile noch mit
starken Farben bemalen, das hieße, das
Uebertriebene noch einmal übertreiben, das
Phantastische vollends ins Wahnsinnige
und Betrunkene hinein steigern, Ver-
irrungen noch künstlich hervorheben und
dem Auge anfdrängen. Der Verfasser

nennt als Zweck kräftiger Bemalung die
Betonung llnd Hervorhebung der Glie-
derungen des Baues (S. 26); aber eben
das könneil diese Bauten nicht brauchen,
denn ihre Gliederungen sind schon vom
Baumeister selbst übermäßig stark zur
Geltung gebracht.

Freilich haben die Alten den Stuck
bemalt, mit vollen und ganzen Farben be-
malt. Aber es ist eben ein Unterschied
zwischen Stuck und Stuck. Es ist nicht
wahr, daß die Stnckornamente in Barock-
und Zopfkirchen so gut eine starke Bemalung
vertragen und fordern, wie die Dekorations-
motive der Antike und der Renaissance.
Die ausschweifenden, derb körperhaften
Formen der ersteren, die unorganischen
Zierelemente des Zopfes, diese Gebilde
einer wilden Phantasie, dieses Knorpel-
ititb Muschelwerk, diese ohrenähnlichen
Anfrollnngen und Schneckenformeil gar
noch durch volle Farben besonders hervor-
heben, das hieße, das an sich Unnatürliche
und Unschöne noch geflissentlich betonen
und hervorheben. Der Verfasser erkennt
ganz richtig, warum die Altäre der spä-
testen Gothik ohne Polychromirnng blieben
und bleiben sollen. „Die den Schrein be-
krönenden Baldachine sowie die geschnitzten
Ornamente des Schreins sind in gothischem
Zopf ansgesührt... Schon in nnbemaltem
Zustand wirken diese unnatürlich ge-
krümmten und seilartig gewundenen Fialen,
diese knorrigen Raukeuverzieruugen höchst
unruhig. Denkt man sich nun diese un-
ruhigen Formen genau nach mittelalter-
licher Manier in Gold und Farbe gesetzt,
so muß mau sich gestehen, daß daraus ein
unerträglicher Anblick, eine abstoßende
Wirkung entstehen würde. Die Schnitzer
dieser Altäre waren denn doch zuviel
Künstler, daß sie dies nicht hätten selbst
herausfühlen lind deßhalb lieber ans die
Polychromirnng ihrer Werke verzichten
sollen (S. 39 f.). In diesen Sätzen
stößt der Verfasser selbst seine ganze
Theorie von der Bemalung des Zopfes und
seine ganze Beweisführung für dieselbe
vollständig über den Haufen. Was von
der Zopfgothik gilt, trifft für den eigent-
lichen Zopf noch viel mehr zu. Charakter-
lose Formen können keine charaktervolle
Bemalung vertragen, sonst wird das schon
an sich Unschöne zu einem Monstrum.
 
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