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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 13.1895

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Nr. 4
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Keppler, Eugen: Gedanken über Raphaels Cäcilia
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https://doi.org/10.11588/diglit.15912#0038

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30

Aemter habe er einen sechsmonatlichen
Unterricht genommen, um besser zn singen. Aus
diesen Personalnotizen wollen Crowe und
Cavalcaselle die ganze Erklärung des Bildes
ableiten. Zuvörderst sei klar, warum der
Kardinal gerade ein Cacilienbild bestellt
habe; wahrscheinlich habe er in seinen
musikalischen Nöthen seine Zuflucht ge-
nommen zu dieser Heiligen. Aber abge-
sehen davon, daß das letztere bloße Ver-
mutung ist, bedarf ja die Wahl des Ge-
genstands gar keiner besonderen Erklärung;
es ist klar, daß das Altargemälde einer
Cäcilienkapelle bloß dieser Heiligen gewidmet
sein konnte. Es erkläre sich ferner, warum
gerade ein Hofstaat von vier Heiligen Eäcilia
umgebe, denn der Kardinal habe in Rom
den Titel Santi quattro gehabt. Damit
könnte aber höchstens die Vierzahl motivirt
werden, nicht die Wahl gerade dieser vier
Heiligen; denn die Santi qnattro sind
nicht unsere vier Heiligen, sondern die
Quatuor Coronati. Das ganze Bild würde
nach den genannten Forschern nur den
Gedanken ausführen, daß alle Künste
menschlicher Musik vergeblich seien und
nur der Himmel allein dem Kardinal
Pucci die Gabe verleihen könne, welche
die Natur ihm bisher versagt habe. Diese
Erklärung ist solcher Forscher und eines
solchen Bildes ganz unwürdig. Sie ist
sowohl gesucht und verkünstelt, als platt,
niedrig und ungenügend. Es ist wahr-
haftig nicht abzusehen, was die am Boden
liegenden Instrumente mit dem schlechten
Gehör des Kardinals zn schaffen haben
sollen; man wird doch nicht etwa versucht
haben, mit Pauken, Becken, Cymbeln und
Triangel den musikalischen Sinn des
Kardinals 511 wecken. Ebensowenig kann
der himmlische Chor und sein irdisches
Auditorium auf die Hebung des physischen
Gebrechens des Kardinals Bezug haben.

Die Idee des Bildes muß höher sein
und tiefer liegen. In ihrer Deutung
sind die Raphaelforscher aber durchaus
nicht einig, außer etwa in dem einen Punkt,
daß die Tendenz des Bildes eine Verherr-
lichung der Musik sei, und zwar der
himmlischen, in ihrer siegreichen Superio-
rität über die irdische. Eine tiefsinnige
itub fein durchgeführte Exegese hat der

J) et. et. O. S. II, BOI f.

Italiener Giovanni Franciosi ge-
geben?) Eäcilia, die Vertreterin der
Musik, der ersten und ursprünglichsten
aller schönen Künste, werde dem Denker
Raphael zur Repräsentantin der Knust
überhaupt, und zwar der durch das Christen-
thum erneuerten und wiedergeborenen Kunst.
In den vier Nebengestalten aber habe
derselbe die vier Hauptbedingungen und
obersten Kräfte der Kunst symbolisiren
wollen: in Magdalena die Unterscheidung
der Schönheit, in Augustinus die Wissen-
schaft, in Paulus den Glauben, in Jo-
hannes die Liebe. Endlich sei der Gürtel,
der sich um die Lenden und das Pracht-
gewand Cäciliens legt, ein symbolischer
Hinweis aus den Schmerz oder die Weis-
heit des Leidens als Quell der Schönheit
der Kunst?) Diese Erklärung hat den
Fehler, daß sie zn schön und geistreich ist;
es wohnt ihr viele Feinsinnigkeit inne,
aber wenig überzeugende Kraft. Daß der
Musik ohne weiteres und ohne alle An-
haltspunkte im Bilde selbst die Kunst über-
haupt substituirt wird, ist eine willkürliche
Eigenmächtigkeit, und die Auffassung der
Heiligen als Personifikationen der Haupt-
kräfte und Hanpteigenschasten der Kunst
ist dürftig motivirt; den Gürtel Cäciliens
ans den Schmerz und seine Bedeutung
für die Kunst zu beziehen, ist vollends
eine gar zn sublime Allegorik.

Wir werden eine andere Deutung zu
suchen haben, welche mehr ans dem Bilde
selber sich ergibt und nicht soviel in das-
selbe einträgt. Wir wollen unsere Auf-
fassung in bündigen, klaren Sätzen ans-
sprechen und dann amBilde als richtigerweisen.
Die Idee des Bildes ist diese: D i e M u s i k
ist eine erhabene, s e e le n ers r eil-
en d e K u n st, aber, w e i l e b e n m e n s ch-
l i ch e Kunst, a u ch nur e n d l i ch und
unvollkommen; der Vorzug und
Triumph der he i l i g e n, r e l i g i ö s e n,
dem Lob Gottes o b l i e g e n d e n M u-
s i k aber ist, daß sie die Seele
himmelwärts hebt und ihr einen

1) La Cecilia Raffaelisca. Pensieri clell’
Avv. Giovanni Franciosi, Prof, delle Let-
tere Italiane. Modena, 1872 p. 43—55.

2) Franciosi hätte hier citiren können die dritte
Antiphon der ersten Noktnrn im Offizium der
Heiligen: cilicio Caecilia membra domabat, Deum
gemitibus exorabai
 
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