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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 13.1895

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Nr. 8
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Keppler, Paul Wilhelm von: Gedanken über die moderne Malerei, [neue Folge, 2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15912#0078

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69

Nachtreter der obengenannten Trias, lediglich
nur darauf ausgehen, das Menschen- und Volks-
leben zn veröden und zr: verblöden, zu ver-
dreckeln, zn verekeln und zr: verleiden: wie z. B.
Graf Leopold Kalckrenth in seiner „Sommerzeit",
Becker-Gründahl in seinem „blinden Mann",
der den Jllusivnsreiz znm Brechreiz steigert,
Liuda Göhl (Interieur), Chr. Landenberger in
seinem „badenden Knaben", der gar keine
Glieder mehr hat, sondern nur ans gelben,
grünen und orangenen Flecken zusammengesetzt
ist, und viele andere. Hervorragende Leistungen
aber sind der „Geizhals" von Richard Ritsch,
„die Dorfältesten" von Otto Heichert, „die
Testamentseröffnnng" von Joseph Mürrisch, „der
Besuch beim Berurtheilten" von P. I. von der
Ouderaa, „Hoher Besuch" (im Atelier) von
F. Steinmetz, „die Sonntagsruhe" von K. Hart-
mann, „Hauskapelle" von G. Jakobides, „ein
genügsamer Weltbürger" (ein mit einem alten
Schuh spielendes Kind) von L. Knaus, „Ver-
stoßen" von A. Dieffeubacher, „die Charakter-
köpfe" von E. Harburger, „Pserdezähmilng" von
B. Galofre, „das Puppentheater" von W. Geats,
— hervorragend, weil die moderne Wirklichkeits-
auffassung sich hier noch einen Funken von Geist
und Gefühl, von Poesie und Humor und noch
ein gut Stück solider alter Technik und Zeichnung
gewahrt hat.

Die H i st v r i e n - und Schlachten mg l e r e i,
die Malerei des großen, monumentalen Stiles
ist zu Grabe gegangen. Was in deir letzten
Ausstellungen in diese Kategorie gehört, kann
an der: Fingern anfgezählt werden: E. Carpen-
tiers Schlachtenbild: „1793 in der Bretagne",
keineswegs in allem gelungen, Peter Janssens
Kolvssalbild: „der Mönch Walther Dodde und
die Bergischeu Bauern in der Schlacht bei Wor-
ringen 1288", von kraftvollem Leben strotzend,
A. Sochaczewskis „Abschied der Verbannten
ain Grenzstein von Sibirien", Lischkas „Michel-
angelos Traum", des Villegas „Triumph des
Dogen Fvskari" und ^Tod des Matadors",
Benlinres „Einzug der Srierfechter". Man be-
dauert den Untergang der historischen Malerei
nicht; man freut sich darüber, daß die moderne
Malerei so ganz im frisch pulsirenden Leben der
Gegenwart aufgeht; aber eine Kunst, welche
verlernt hat, sich auf dem Boden vergangener
Jahrhunderte zn bewegen und die großen Mo-
mente der Weltgeschichte darzustellen, ruft doch
Zweifel wach an der Höhe und Nichtigkeit ihres
Standpunktes, an der Weite ihres Gesichtskreises
und an der Kraft ihres Könnens, vollends wenn
sie zeigt, daß sie über der Beschäftigung mit den
sozialen Problemen der Gegenwart selbst zur
Sozialdemokratin geworden. —

11.

Wir dürfen auch diesmal der peinlichen Frage
nicht ans dem Wege gehen: wie steht es um
die moralische Gesundheit der modernen
Malerei? sind die Beziehungen zwischen ihr und
dem Sittlichkcitsbewußtsein der Menschheit auch
setzt noch vielfach gespannte; hat der porno-
graphische Unfug in den Ausstellungen znge-
nommen oder abgenommeu?

Volkelt ividmet dem Berhältniß der Kunst

zur Moral seinen ersten Vortrag?) Nachdem
er konstatirt, daß die gegenwärtige schöne Lite-
rcttitr mit Vorliebe in die moralische Jämmer-
lichkeit hinabgreife mtb viele moderne Dichter
eine besonders gewürzte Lust daran zu empfinden
scheinen, mit wahrhaft virtuos entwickelter Nase
an den verschiedenen Arten und Nuancen des
moralisch Stinkenden hernmznschnüffeln, stellt er
die folgenden Leitsätze ans: „Um tvelcheir Be-
thätignngskreis es sich auch handle, überall soll
sich das menschliche Streben und Arbeiten in
den Dienst des Guten stellen. Förderung und
Verwirklichung des Guten ist das gemeinsame
Ziel, dem sämmtliche Richtungen menschlicher
Thätigkeit unterthan sind. Ein menschlicher
Thäligkeitszweig, zr: dessen Natur es gehörte,
die Menschheit zn moralischer Entwürdigung zn
führen, würde sich eben damit als unberechtigt
und als wcrth, ausgetilgt zu werden, erklären.
Auch die Kunst ist höchsten Endes dazu da, die
Menschheit auf ihrem Weg zum Guten zn fördern.
Auch der Künstler soll sich mit den: Gefühl er-
füllen, daß sein Schaffen sich in die sittliche
Entwicklung der Menschheit einzugliedern habe.
Der Künstler soll es nicht als seiner unwürdig,
als kleinlich uub hausbacken ausehen, wenn ihm
zngemntet wird, die sittlichen Ideale als auch
für ihn geltend anznerkennen. Wollte die Kunst
sich dessen weigern, so wäre damit die Moral
überhaupt für abgesetzt erklärt. Für die Moral
steht die Sache so: entive d er ist ihr das Leben
in allen seinen Bethätignngen unterworfen,
oder sie hat überhaupt ihre Herrschaft einge-
büßt" (S. 7). Er fragt, ob nicht, wenn man
die Kunst unter das Gesetz des Moralischen
stelle, eine Verkürzung oder Eiuzwüngung ihres
eigener: Wesens und Lebens die Folge sei, —
und er verneint diele Frage. „Die sittlichen
Ideale sind für die Krinst kein lästiger Zügel,
geschweige denn eine Znchtrnthe; mag sich nur
die Kunst froh und ungezwungen nach ihrer:
eigenen Bedürfnissen ansleben, sie darf dann
sicher fein, auch letzten Endes in: Dienste der
Sittlichkeit zn wirken" (S. 8). „Wenn ein
Künstler in feinem Schaffen es mit der: sittlichen
Idealen leicht nimmt, sie gar als verlachenswerth
hinstellt und die Beschauer oder Leser iirs Ge-
meine herabzerren rvill, so fügt er seinen Schöpf-
ungen nicht nur einer: sittlichen, sondern auch
einen schweren ästhetischen Schaden zrr. Denr:
es kommt nun einmal der Kunst keine Ausnahme-
stellung zu; auch sie hat sich der sittlicher: Ent-
wicklung der Menschheit einzuordnen; setzt sie
sich über diese Zugehörigkeit rveg, so hat sie da-
rrüt auch ihren Knnstcharakter entstellt" ;S. 10).
„Es rvird daher mit unnachsichtlicher Strenge
über solche Erzeugnisse zn nrtheilen sein, ans
denen deutlich herauszirlesen ist: Der Urheber
will den Betrachter oder Leser zuchtlos machen,
in Aufgeregtheit oder Verwilderung versetzen, er
hat seine Freude daran, begehrlich zn stimmen,
z>: erhitzen, Pflichtgefühl und Vernunft um ihre
Herrschaft zn bringen" (S. 13). „Untergrabung
und Zerstörung des sittlichen Kerns in: Menschen
ist für die Kunst gerade so rvie für jede andere
Bethätignng ein unbedingt Verbotenes" (S. 15).

Z „Aesthetische Zeitfragen" S. 1—41.
 
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