Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 13.1895

DOI Heft:
Nr. 9
DOI Artikel:
Keppler, Paul Wilhelm von: Gedanken über die moderne Malerei, [neue Folge, 3]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.15912#0087

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
78

Gedanken über die moderne ^Ilalerei.

(Fortsetzung statt Schluß.)

Woher diese merkivürdige Strömung? So
sehr sie der bisherigen Entwicklung entgegen-
gesetzt erscheint, so ist sie doch nur deren Produkt
uub naturnvthwendige Folge. Der „Thatsäch-
lichkeitsfanatismus" der Naturalisten, der Häß-
lichkeitskult der Impressionisten, die völlige
Hintansetzung des Inhaltes und geistigen Ge-
haltes, die systematische Unterdrückung von Ge-
danke und Gefühl, der Götzendienst, der mit
Licht, Luft unb Farbe allein getrieben winde,
erzeugte nach unb nach ein anödendes, an-
ekeludes Gefühl der Leere, das auf die Dauer
unerträglich ivurde. Der Drang der Phantasie,
der Hunger des Geistes nach besserer Nahrung,
das Heimtveh der Seele nach einer höheren
Welt, das Ahnen und Sehnen über die engen
Grenzen des Sichtbaren und Greifbaren hinaus,
die Phantasie, das Gefühls- und Empfindungs-
vermögen mit ihren unabiveisbareu Ansprüchen
— all das ließ sich nicht länger abspeisen mit
Kraut und Rüben, mit Kohl und Kartoffeln,
mit Luft und Licht, mit den harten Brocken
und Steinen des Realismus, mit Schmutz und
Quark, so sehr mair sich auch Mühe gab, den-
selben zu Creme zu peitschen. Es verlangte
nach Besserem, Höherem — im Publikum wie
in den Kreisen der Maler selbst. In diesem
Uugenügen, in diesem ungestümen Verlangen
liegt etwas Rührendes und Ergreifendes; der
Geist des Menschen schaffte sich wieder Geltung
unter lautem Protest gegen die Materialisirnngs-
versuche; die anitna natura’iter clirisliana kam
wieder einmal mit Macht zur Offenbarung unb
zum Durchbruch. Und die Seele der Kunst
regte sich ivieder. Tie wollte lvieder einen Lebens-
zweck haben, der ihrer würdig wäre, nicht
Krautücker bestellen, sondern belehrend, bildend,
veredelnd tvirkeu, milsprecheu in den großen
Fragen der Menschheit, Einfluß üben, nicht
zwecklos ihre Kraft vergeuden, für ein Gut uub
Ziel arbeiten. Der Satz, daß der geistige In-
halt, der Gedanke, der Stoff nichts zu bedeuten
habe im Gemälde, >var, vbivohl solange als
Dogma prvklamirt und unaufhörlich wiederholt
doch zu wiedersiuuig, als daß er auf die Datier
hätte in Herrschaft bleiben können. Mit deut
Gedanken kam die Linie, die Kontur wieder
zit ihrem Recht, ohne welche es nicht möglich
ist, klare Gedanken auszusprecheu. Das Reich
der Malerei ivurde über die eugeit Grenzen
der sichtbaren Wirklichkeit hinaus ivieder endlos
erweitert diirch Hereinziehung des Religiösen,
Mythischen, Mystischen, Symbolischen, Allego-
rischen, Visionären.

Der Schlagbaum des Realisiitus unb Natu-
ralismus ist gefallen. Durch die geöffnete Bar-
riere stürmt es nun hinaus iu's grenzenlose,
blau verschwimmende, mit beu äußersten Enden
des Himmels verdämmernde Land der Ideale.
Die „Ritter vour Geist" ziehen aus zit neuen
Siegelt mit schmetternden Fanfaren. Gölhe —
der Gölhe deS Tasso und der Iphigenie und
namentlich der Gölhe der natürlichen Tochter —
die Rvmaukiker, Graf August vou Plateu, Novalis,
Gottfried Keller, Paul Heyse, Richard Wagner

sind die Halbgötter, au welche sie glaubeit uub
auf welche sie schwören. Neue Ziele locken in
der Literatur und in der Malerei, lieber „bar-
barischeit Untergründen" soll eine „reine Welt
edler Geister" erstehen. Alles: Impression, Stoff,
Außen- und Jnnenivelt soll in reine Poesie auf-
gelöst werden. Die Natitrdiuge unb die mensch-
lichen Schicksale sollen umgedeutet lverdeu in
Symbole seelischen höheren Lebens. Auf Grund
der modernen Fühlweise und Mache soll eine
geistige Kunst iuaugurirt werdeit. Der Wahl-
spruch der Jünger derselben wird pompös so
angekündigt: „In den Prisnien ihrer Seelen
wollen sie das große, tiefe Leben wicderschaffen,
das immer schöne und harmonische Leben. Sie
lvisseu, daß alles lebt, sie »vollen das schreckliche
Leben der Felsen begreifen unb erfahren, welchen
erhabenen Traum die Bäume verschweigen. Sie
tvollen die heilige Schönheit der Stuten und mit
dem Lichtglanz der Gedanken die Bvlleuduug
der Form, das furchtbare Leben der Welten
fühlen, leben — das einfache Leben deS Alls,
die Seele, die in den Augen der Jungfrauen
schlummert unb die int entsetzlichen Geheimnis;
der Felsen ruht — das strahlende Geheimnis;
der Dinge fühlen, darin leben und mit betvegter
uub von unsäglichen Freuden zitternder Stimme
es stammeln, es mit bebender Hand festhallen:
Mysticismns. Und dann unter allen bedentnngs-
vollen Dingen heranswühlen, was beu größten
und schönsten Theil der schivingeuden Seele ent-
hält, ivas die anderen in seinem lieferen Wesen
wiederspiegelt und ivas sich durch feine voll-
kommenere Form am meisten der unbedingten
Einheit, dem höchsten Trattme nähert, — diese
Dinge mit klarer, schütter, selbst am Rande des
Abgrundes (denn jenseits des Abgrundes fühlt
man sich selbst als beu Gott, den man freude-
geblendet anschaut) mit unerschütterter Stimme
sagen: Symbolik. Eine reine, klangvolle, strenge
und schöne Sprache, ohne irgend etwas von
dieser leichtfertigen, zerfahrenen Weise, die heute
in Schwung ist, — kein Dunkel, keinen Wirr-
warr, die kräftige Schönheit, die Feiirheit ohne
Berziertheit, das ist's, ivas diese jungen Künstler
erstreben" n. s. w?)

Mit dieser Kriegsmnsik zieht der Neu-Jdea-
lismns in den Kampf gegen den ungeschlachten
Barbaren des niederen Naturalismus, der bis-
her als Gott angebetet wurde. Die Heerführer
sind die Engländer Bnrne-Jones, die Franzosen
Pnvis-de Chavanue und Gustave Moreau und
die Detttschen Arnold Böcktin, Franz Stuck, Max
Klinger.

Arnold Böcklin, zweifellos ein genialer
Landschafter, strebte zunächst eilte organische,
seelische Verbindung an zwischen Landschaft uub
Figuren, sucht die menschliche Staffage durch die
Landschaft zu beseelen unb umgekehrt, die Stim-
mung der Natur mit der Seele des Menschen
zusammenfließen zu lassen. Von hier ans geht
er lveiter; er personisieirt die Naturgeister selbst
die Naturkräfte, Naturstiiniunngen, Natnrgeheim-

Z „Allgemeine Kunst-Chronik" 1894 S. 666 ff.
„Blätter für die Kunst" voir K- A. Klein,
Bd. l 2. 1 ff.
 
Annotationen