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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 13.1895

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Nr. 9
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Keppler, Paul Wilhelm von: Gedanken über die moderne Malerei, [neue Folge, 3]
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Weber, Heinrich: Der Doppelchor im Bamberger Dom: eine Berichtigung
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https://doi.org/10.11588/diglit.15912#0089

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80

liehen Linien, ivie im Bogen, noch unten. Ihre
Seeleulaute wogen in dicken, schweren Linien.
Sie kommen ans ihrem Munde, steigen auf-
wärts, um in trüben Beugungen wieder abwärts-
zu fallen, und gehen dann über in die geweihten
Klänge All' diese Klänge, Gebete, Seelenlaute,
Ideen sind durch verschiedene starke parallele
Linien um das ganze Bild laufend versinn-
bildlicht.")

Alan sieht, solche Bilder kann niemand mehr
verstehen, wer nicht selber mit dem sechsten Sinn,
dem Wahnsinn, begabt ist. Da thnt es einem
förmlich tvvhl, allegorische Bilder zu sehen,
ivelche auch einem gesunden Menschen noch faß-
lich sind: >vie die „Sturmglocke" von Albert
Maigna», deren wimmernde und heulende Töne
durch die ihr entschwebenden Furiengestalten
verkörpert sind , oder das sanftere Bild „in höherem
Schutze" von Karl Ranpp, wo tvir den von den em-
pörten Wogen nmhergeschlenderten Nachen mit der
schlnmnwrnden Mutter und ihrem Kind von einer
lichten Schntzengelgcstalt überschtvebt sehen.

Ob man es wagen darf, ans diesen Neu-
Jdealismns Wechsel von höherem Betrag ans-
znstellen? Ob er im Stande sein wird, die
lies darniederliegende Knust ivieder wirklich ans die
Höhe zu führen? Prophezeien ist hier schwierig.
Es fehlt nicht an beängstigenden Zeichen auch
in dieser neuesten Entwicklungsphase.

Die weiße und ichtvarze Magie, ivelche mit
der Farbe Getrieben wird, ist doch zum guten
Theil reiner Humbug und Hokuspokus. Die
Entbindung der Gefühle ist in zuchtlose Wollust
ansgcartet, in eine Schwelgerei in Empfindungen
und Stimmungen, in eine krankhafte Sucht nach
immer neuen Nervenkitzeln und Sinnesreizen,
nach pikanten, überwürzten und überpfefferten
Genüssen, oder auch in einen weibischen, splee-
nigen Weltschmerz, in matte, dumpfe Melancho-
lie und Resignation. Der Phantasieballon, den
diese neueste Kunst steigen läßt, entbehrt der
sicheren Leitung durch die Vernunft und des
Ventils einer gesunden Kritik und Selbstzucht.
Er ist überdies nur ein Fesselballon, der vom
starken Seil des allherrschenden Naturalismus
doch nicht loskommt und über die dumpfigen,
dunstigen Nebelregionen einer pantheisirenden
Weltanschauung, einer mystischen Vergötterung
der Natur und des Menschen nicht hinauskommt,
ja mitunter in der nur scheinbar höheren, in
Wahrheit recht liefen Lebenssphäre der Hysterie
und Hallucination, der Hypnose, eines aber-
gläubigen Spiritismus oder des aufgelegten
Aberwitzes stecken bleibt.

Baldige Resipiscenz wäre auch hier zu lvünschen.
Und ein strenges Regiment der Aesthetik; denn
die oben citirten Znkunftspläne enthalten mehr
Tiraden und trunkene Dithyramben, als ein
klares, bestimmtes Znknnftsprogramm. Einst-
tveilen darf man aber darüber sich freuen, daß
doch' ans die Dauer der ideale Sinn und das
feinere Empfinden durch die Naturwissenschaft
und die naturwissenschaftliche Malerei nicht ge-
knebelt und verroht tverden konnte. Im Nen-

]) „Kunst-Salon" 1893 S. 237.

Idealismus bricht lvenigstens die Ahnung einer
anderen höheren Welt ivieder durch ltnb die
Ahnung, daß int Vordringen in jene Welt Ziel
und Zweck uni) der höchste Triumph der Kunst
beschlossen sei. —

(Schluß folgt.)

Der Doppelchor im Bamberger Dom.

Eine Berichtigung.

Von Professor Dr. Heinrich Weber.

In No. 5, S. 40 dieses Jahrganges hatte
ich den Beiveis zu führen versucht, daß die
beiden Chöre des Domes zu gleicher Zeit zum
Chordienst in der Weise benutzt wurden, daß
der eine Halbchor der Brevierbeter im Ostchor,
der andere im Westchor seine Aufstellung hatte.
Der Beiveis, gestützt ans einige Stellen der im
Jahr 1422 vorgenommenen Reformatio Capi-
tuli schien mir unanfechtbar zu sein. Inzwischen
fand ich aber in einem anderen Codex des alten
Domkapitels eine Stelle, c. aus dem Jahr
1400 stammend, ivelche meine Sicherheit etwas
erschüttert. Die Aufzeichnung führt den Titel:

8equltur, quot Missas et qua hora Vicarii
Ecclesie Bambergensis teneantur et debeant
celebrare Missas in Altaribus et Capellis Vi-
cariarum ipsarum etc. Hier heißt es: Item
duo Vicarii ad Altaria maiora in choro s. Petri
et in choro s. Georgii, unus per unam ebdo-
madam sex et alter per aliam totidem missas,
post summe misse Ewangelium in uno dicto-
rum chororum , in quo non. ,a gitur offi-
cium divinum illa die missam celebrabit.

Nach einer späteren Aufzeichnniig vom Jahre
1625 haben sie zu celebriren „in choro, da
(in ivelchem) das Tagamt nicht gesungen wird".
Wenn Ofhcium divinum in der allgemeinen
Bedeutung von „Gottesdienst" genommen wer-
den dürfte oder als gleichbedeutend mit „Tag-
amt", daitn ließe sich meine frühere Auffassung
aufrecht erhalten. Wenn es aber, wie allgemein
gebräuchlich, im Sinn von „Chvrgebet" genommen
iverden muß, darin ivnrde in dem einen Chor das
officium recitirt und nach demselben das Choramt
gehalten, und in dem attbevn gleichzeitig resp.
nach dem Evangelium des Hochamtes eine stille
hl. Messe gelesen. Dann gilt die Jnclination
des Regentes chori retro versus alium chorum
nicht, wie ich angenommen hatte, dem hinter
ihrein Rücken befindlichen §aIbci)or, sondern
dem im andern Chor stehenden Altar, ivelchem
sie während ihres Gesanges den Rücken zu-
wendeten. Doch ließe sich meine erste Auf-
fassung vielleicht noch dadurch vertheidigen, daß
sie sich stützt ans eine 20 Jahre später ge-
machte Aiifzeichnnng, ivelche also etwa eine
später gemachte Anordnung bieten ivürde. Der
Text von 1625 ivürde dieser Auffassung einiger-
niaßcn günstig sein; das Singen des Tagamtes
in dem einen Chor bedingt nicht nothwendig,
daß das ganze Chorpersonal dort versam-
melt sei.

') „Allg. Kunst-Chronik" 1893 S. 600.

Stuttgart, Buchdruckerei der Aki.-Tes. „Deutsches Volksblatt".
 
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