Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 13.1895

DOI Heft:
Nr. 11
DOI Artikel:
Keppler, Paul Wilhelm von: Gedanken über die moderne Malerei, [neue Folge, 4]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.15912#0107

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
98

einem Körbchen; drei Personen, ein Vagabnnd,
ein altes Weib und ein Knabe, alle drei gnt
gemalt nnd charakterisirt, beschanen das leuch-
tende Kind), Frz. P. Zimmermann in seinem
„Abendmahl", L. Dettmaim in seiner „Heiligen
Nacht", I. E. Blanche in seinem Emansbild
„Der Gast" (in einer noblen Herrnhuter Familie
kehrt ein salbungsvoller Pietist ein und verdreht
die Angen unter frommen Sprüchen), Leon
Frederie in seinem „Englischen Gruß" (zu einer
unsagbar häßlichen und einfältigen hysterischen
Nähterin kommt ein theatralisch mit einer Masse
von weihen Florstoffen behangenes Kind); Bela
Grünwald mit einer „Heiligen Familie" (in
einem Hofe sitzt neben der Hobelbank ein alter
Araber, vor ihm eine Fellachin mit stumpfer
Nase und stumpfem Sinn und ein Bub in
weißem Hemd); H. Leroy mit seinem „Abend
in Nazareth", Müller-Schönfeld mit einer höchst
sonderlichen Heiligen, wohl der sancta Simplicitas;
Wilhelm Bolz mit seiner zum Erbrechen häßlichen
Madorlua (auf einer Straßenbank in freiem Feld
sitzt ein abscheuliches Banernweib mit gemeinem
Gesicht tliid schmierigem Nock und stillt ein Kind);
Sascha Schneider, der neuestens in sieben Kar-
tons Christus zniil Anarchisten stempelt, welcher
Berliner Fabrikarbeitern seine Umstnrzideen ent-
ivickelt, und der den Weltenrichter da, stellt wie
einen inqnirirenden preußischen Amtsrichter;
M. Dasio iil seinem „Hl. Sebastian", der wie
ein Gehenkter anssieht. Geistig nicht höher, nur
etwas reinlicher in Form und Zeichnung ist
E. von Gebhardt's in eine Bauernstube trans-
ferirte „Pieta" lind sein „Christus im Tempel"
(während seine „Bergpredigt" wenigstens keilte
störenden Mißklänge zeigt) lind Feldmann's
„Krenzignngszug".

Danil kommeil die Farbenmystiker und brennen
auf religiösem Boden ihre bnnteit Feuerwerke ab:
Hierl-Deronco in seiner „Padronne de la Ro-
magne“ ein blaues, A. Helsted in seiner „Ber-
kündigniig" ein graues (vor tveißgraneu Fenstern
sitzt auf grauer Bank eine grnngrane Madonna
mit dnnkelgranem Schleier, vor ihr ein grauer
Engel mit Gansflügeln), Julius Exter in seinem
„Adam und Eva" nnb Hvfmann in seinem „Ver-
lorenen Paradies" ein in den wahnsinnigsten Far-
ben schillerndes Gebilde. Ihnen folgen die Sym-
bvliker, Mystiker und Apvkalyptiker, tiefsinnig bis
zum Wahnwitz, phantasiereich bis zlun Aberwitz,
bestrebt, die ernstesten religiösen Themata in
ihren Tiefen zu erfassen, aber dabei mitunter in
ganz andere Tiefen hinabgerathend. Böcllin's
„Kreuzabnahme" hat einzelne hochdramatische
Momente, aber daneben auch sehr störende.
Keller's „Kreuzigung" zeigt den Heiland als
schwärmerisch zum Himmel blickenden bartlosen
Jüngling; Magdalena preßt an's eine Ohr ihre
Hand, an's andere die vom Kreuz gelöste Hand
des rechten Schächers — wohl ein tiefsymbo-
lischer, leider gewöhnlichen Menschen nicht faß-
licher Gedanke. Die vier „Pieta"-Darstellnngen
von Böcklin, Stuck, Klinger mib Habermann
sind sich sehr verwandt; sie streben nach großem,
monumentalem Stil, wirken aber gemacht nnb
unnatürlich; ähnlich H. Hendrich's „Oelbergs-
bild". Brangwyn's „Täufer" glänzt in gelber,
violetter, grauer Farbenschmiere und ist ein

indischer Fakir mit einigen Fetzen um die Lenden;
sein Dreikönigsbild ist eine bizarre Verirrung,
was die Anffassnug, Kostümirnug und Farben-
gebung anlangt; die Madoiliia sitzt da wie ein
Sphinxbild, mit geschlossenen Augen, herb und
kalt; das ist wohl ein Stil, aber der Theaterstil.
Willy Spatz sammelt in seiner Komposition
„Kommt her zu mir" eine ergreifende Gruppe
von männlichen und weiblichen Leidtragenden;
aber sein Heiland, der auf eitler Bank sitzt und
einer ihm in den Schoost weinenden Frau beide
Hände auflegt, ist doch nur ein Magnetiseur im
Beduinengewand; seine „Hl. Familie", die sich
zlir Flucht nach Aegypten richtet, athmetUhde'schen
Geist unb sein „Gang zur hl. Familie" (einige
alte Araber drücken sich um die Hausecke) ist
einfältig unb lächerlich. Von großem Wurf ist
Ferdinand Brütt's „Was toben die Heiden";
Mord, Brand und Aufruhr umtobt eine Ltadt;
draußen ans freiem Felde strahlt geisterhaft das
Kreuz ans und vor ihm die Gestalt des Heilands
mit erhobener Rechten; ihr Anblick reizt die
eitlen zu Lästerung tlud wilder Drohung, wirft
aildere in Rene unb Heilsverlangen zu Boden;
ivenn nur K>euz unb Christus nicht gar so sehr
zniil Schemen verflüchtigt wären. Bedeutend
ist auch Siemiradzki's „Versuchung des hl. Hie-
roiiyinus"; im Rücken des im Gebet ringenben
Heiligen lockt ein Chor von Bacchantinnen zu
ivilden Orgien, danebeil erhebt sich über ernster
Senatorenversammlnngdie Rednerbühne: Sinneii-
lllst und Ruhm. Stnckrad's Komposition zu
Apok. 3, 5 ist lediglich eine Allsstellnng magerer,
unschöner, bleichsichtiger Modelle; P. Lanren's
„Heilige Frauen" eine Freilichtstudie mit hyste-
risch-exstatischen Frauenzimmern. Tieferen Ge-
halt zeigt Piglhein's „inoritur in deo'; phan-
tastische Wolken nitlziehen das Kreitz, mehr als
lebensgroß hängt der Heiland mit sehr edlem
Antlitz an demselben, der Todesengel neigt sich
über ihn und küßt ihn auf die Stirne; der
Engel trägt aber etwas zu schwer au den Massen
von Gewändern und au feinen ungeheuren
Flügeln. Weniger klar ist des Belgiers I. Leem-
poel's „Destin de l’humanite“, welches so be-
schrieben wird: „das Gemälde zeigt uns Gott-
vater, dessen ernstes, von Falten durchzogenes
Antlitz aus dttitklen Wolken hervorleuchtet; ma-
gisches Licht geht von seinen drüneiiden, bläulich-
granen Atlgen ails, die alles zu dnrchdringen,
alles zu durchschauen scheinen; tiefe Schatten
verhüllen beit Mund; Haar unb Bart verfließen
in die grünschwarze Finsternist des Weltrallines;
das ist das Schicksal (!); wo das Gewölbe die
Erde berührt, da luanbett es sich erst in helles
Grün, das endlich überschimmert wird von den
goldenen Strahlen des Sonnenunterganges,
dessen Glanz auf tausend und abertausend Hände
fällt"?) Hvchdramatisch wirkt Ktliiz Meyer's
„Judas Jscharivt"; in dunkler Nacht ist vor
mondbeglastetem Fels Jtldas zusammengebrochen
mit zersetztem Geivande, beide Hände vor dem
Gesicht; ihm gegenüber leuchtet ails denl Dickicht
geisterhaft verwehend das Antlitz des Gekreuzig-
leu mit hellgrünem Nimbus; es hätte aber
wahrlich der Tragik keinen Eintrag gethan, wenn

i) Ranz o n i „Moderne Malerei" S. 30.
 
Annotationen