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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 14.1896

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Nr. 4
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Die neue Kirche in Lauterbach
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https://doi.org/10.11588/diglit.15913#0042
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34

nicht zur Psarrgemeinde gehören und re-
servirte Plätze als besondere Wohlthat
empfinden. Eine gleich gute Verwendung
könnten sie finden in großen Städten,
wo manche Familien das Vorrecht eigener
Plätze gerne nm Geld erwerben, ferner
an Orten, wo sich klösterliche Genossen-
schaflen oder Institute befinden, oder-
höhere Sebnlen, welche Anspruch ans eigene
Plätze erheben können. Die Ordnung
und Disciplin der Kirche könnten diese
Emporen nur dann gefährden, wenn man
den Zugang vollständig sreigebcn oder sie
der Jugend ohne Aufsicht einränmen wurde.
Nicht zu empfehlen wäre auch eine andere
Anordnung des Gestühls, so daß dasselbe
anstatt dem Chor dem Schiff zngewendet
wäre, vollends nicht die Anordnung des-
selben ans einem gegen die Außenwände
bin aussteigenden Podium; im letzteren
Falle wurde die ganze Kirche blockirt aus-
seheu, in beiden wäre mißlich, daß man
von hüben und drüben sich ins Gesicht
schauen müßte. Der Nachtheil, daß von
den Emporen ans der Blick ans den Hoch-
altar gehemmt ist, darf nicht zu hoch an-
geschlagen werden; daß alle ans den Hoch-
altar sehen, ist nun einmal in großen
Kirchen nicht zu ermöglichen und für die
Beiwvhnnng am Gottesdienst auch nicht
erforderlich; für die Anhörung der Predigt
sind die Emporen günstig gelegen und
erstes Erfordernis; zu andächtiger Theil-
nahme an der Liturgie ist nicht der freie
Blick ans den Altar, wohl aber ein ruhiger
Platz, wo man nicht gestoßen und gedrückt
wird und allen Zerstreuungen ansgesetzt ist.

Wir wollen daher diese Gelegenheit nicht
vorübergehen lassen, ohne für Neubauten
in großen Gemeinden und Städten die
Emporenanlagen in den Seitenschiffen
nachdrücklichst zu empfehlen. So sehr die
vielfach in protestantischen Kirchen so un-
schön in einen einschiffigen Raum hinein
gezimmerten oder von den Seitenschiffen
noch weit ins Mittelschiff hereinragenden
Emporen unser Auge beleidigen, den Junen-
ranm blockiren und die Kirchendisciplin
gefährden, so wenig kann eine Anlage der
Seitenschisfemporen wie in Lauterbach be-
anstandet werden.

Man darf wohl darauf aufmerksam
machen, daß der alte Kirchenban viele
Jahrhunderte hindurch von diesem Mittel,

den Raum zu vergrößeru und ansgeson-
derte Räume für besondere Bedürfnisse zu
schaffen, reichlichen Gebrauch gemacht hat.
Die zweigeschossige Anlage der Reben-
schiffe finden wir schon in altchristlichen
Basiliken, in S. Agnese, S. Nereo cd
Achilleo, S. Lorenzo fuori le mura,
S. Cäeilia in Trastevere tu Nom, in der
St. Johanneskirche beim Kloster deo
Studio in Konstantinopel aus dem 5. Jahr-
hundert, in der Demetrinskirche in Thessa-
lonich (vgl. Kraus, Gesch. der christl.
Kunst I, LOll') und ander» griechischen
Kirchen, ferner in den Eentralbanten
(S. Vitale in Ravenna, Dom zu Aachen,
Kirche in Ottmarsheim im Elsaß, Hagia
Sophia in Konstantinopel ec.). Ans der
Zeit des romanischen Stils sei nur ans
das Beispiel von Andlan im Elsaß hin-
gewiesen. Gothische Kirchen mit einge-
bauten Seitenschisfemporen finden sich z. B.
in Zweibrücken (Alepa»derkirche 1497),
Amberg (St. Martin 1421), Negensbnrg
sLt. Ulrich 13. Jahrhundert), Köln (St.
Peter 1524).

Man kann nun freilich uns entgegen-
halten: hier überall sind die Emporen
nicht bloß als Holzgerüste ans Holzbalken
und mit Holzbrüstungen zwischen die Ar-
kaden eingespannt und durch die Seiten-
schiffe gelegt, sondern konstruktiv einge-
gliedert durch Anordnung von zwei Ar-
kadenreihen über einander, durch massive
Ausführung, theilweise auch Ueberwölbnng
des unteren und oberen Geschosses. Ge-
wiß, und wo immer die Mittel es er-
lauben, werden natürlich auch wir diese
konstruktive Lösung des Problems vor-
ziehen und uns dann nicht bloß des Raum-
Zuwachses, sondern auch der ungemein
reichen itnb vornehmen Wirkung einer sol-
chen Doppelarkatur erfreuen. Wir wünsch-
ten sehr, daß es unserem Meister einmal
beschieden sein möchte, das System in
dieser Weise ansznführen. Schon jetzt
wollen wir darauf aufmerksam machen,
daß bei einem Neubau der St.
E b e r h a r d s k i r ch e in Stuttgart die
zweige s ch o s s i g e Anlage der Sei-
tenschiffe unbedingt ins Auge
gefaßt werden sollte, hier selbst-
verständlich in der konstruktiveil und mas-
siven Durchführung, für welche die alle
Zeit so vorzügliche Muster bietet.
 
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