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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 14.1896

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Nr. 4
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Die kirchliche Kunst in ihren Beziehungen zum geistlichen Schauspiel
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https://doi.org/10.11588/diglit.15913#0045
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37

Kämpfen gegen das Jndenthum verschärft
sich auch dieser Kampf in Spiel und
Bild mehr und mehr zu Ungnnsten der
Synagoge.

Das hochinteressante nennte Kapitel be-
spricht nun soweit Nlöglich alle geistlichen
Schauspiele, in welchen die Personen der
Kirche und Synagoge anftreten, und im
zehnten wird deren scenische Ausstattung
iu ihren mannigfaltigen und wechselnden
Formen, ihre Kostüme, ihre Neitthiere, ihre
Bühnenhäuser näher geschildert. Dann
wendet der Verfasser sich zu den beiden
Gestalten in der bildenden Kunst. Sie
treten vor allem in den Kreuzigungsbildern
ans lind hier erklärt sich ihre Erscheinung
zunächst ans der Liturgie; aber viele auch
von diesen Darstellungen glaubt der Ver-
fasser als genaue Wiedergaben einer Scene
des geistlichen Schauspiels erreichen zu
können. Seit Mitte des 12. Jahrhunderts,
von der Zeit an, wo der Streit der Kirche
und der Synagoge sich mit dem Propheten-
spiel verband, treten die beiden Gestalten
auch in andere Scenen der Passions- nnd-
Heilsgeschichte ein und sie werden nun die
eigentlichen Ecksänten des ganzen passions-
und heilsgeschichtlichen religiösen Dramaö
wie der bildlichen Wiedergaben derselben;
als solche Ecksänten erscheinen sie besonders
in den Portalsknlptnren der großen Dome,
wie z. B. in der Vorhalle des Freiburger
Münsters. Ihre Einfügung in das Marien-
leben und in die Weltgerichtsbilder wird
noch besonders besprochen. Im zwölften
Kapitel werden einige weitere merkwürdige
Züge ans bildlichen Darstellungen der
Kirche und Synagoge, wie das Eingreifen
Christi oder der Propheten in ihren Streit,
besprochen, welche sicher aus dem Schau-
spiel stammen, aber ans den uns über-
lieferten nicht mehr zu belegen sind. Wie-
weit liturgische Einflüsse aus diesen Bilder-
kreis einwirkten, wird im dreizehnten Ka-
pitel noch besonders untersucht, und hier
insbesondere die ausfallende Erscheinung
des „lebenden Kreuzes" mit von den En-
den auswachsenden menschlichen Armen
und Händen genauer untersucht; der Ver-
fasser registrirt nicht weniger als elf solche
Darstellungen itub erklärt ihren Symbolis-
mus. Auf die kleinereu Nachträge zu den
liturgischen Bildern kann nicht näher ein-
gegangen werden. Die verschwindend kleine

Zahl byzaminischer Darstellungen wird ans
mißverstandene Nachahmung occidenta lascher
Bilder zurückgeführt. Im Schlußkapitel
wird als spätestes Denkmal der Kirche
und Synagoge ein Holzschnitt von 1600
erwähnt; die Gründe ihres Verschwindens
von der Mitte des 16. Jahrhunderts an
werden überzeugend erörtert.

Nach dieser Inhaltsübersicht ist es kaum
uöthig, noch besonders darauf hinznweisen,
daß Webers Untersuchungen nicht bloß
erstmals die Ikonographie der Kirche und
Synagoge aus feste Grundlage stellt und
allseitig klarlegt, sondern daß seine Nesnl-
tale eine weitertragende Bedeutung haben
und auf viele bisher dunkle Punkte der
mittelalterlichen Ikonographie überraschend
Helle Schlaglichter werfen. Eines vor allem
kann nach diesem großartigen Nachweis
nicht mehr zweifelhaft sein: daß die bil-
dende Kunst des Mittelalters von der
scenischen in weit größerem Umfang uub
weit stärkerem Grad, als mau bisher ge-
ahnt und geglaubt hätte, Impulse und In-
spirationen erhielt. Webers Schrift kann
in gewissem Sinn eine epochemachende ge-
nannt werden und wird auf die ganze
mittelalterliche Knnstforschnng dauernd Ein-
fluß üben, einmal weil sie die überaus
zahlreichen Bilder und den reichen Bilder-
kreis der Kirche und Synagoge und so
manche andere noch nicht genügend ans-
gehellte Darstellungen, wie die Bildercyklen
vieler Domportale, das Genfer Altarwerk
und den Madrider Lebensbrnnn der Ge-
brüder van Eyk, erstmals ans die einfachste,
darum wahrscheinlichste Weise zu erklären
vermag, sodann weil sie Anregung gibt,
noch viele andere Bilderkreise ans einen
Zusammenhang mit dem geistlichen Schau-
spiel zu inquiriren. Angesichts der Be-
deutung und Tragweite dieses neuen Ge-
sichtspunktes und angesichts der zweifel-
losen Nichtigkeit des Hauptresnltales der
Schrift fällt es nicht stark inö Gewicht,
daß manche Einzelhypothesen etwas zuver-
sichtlicher auftreten, als sie nach ihrer Be-
gründung berechtigt sind. So scheint cs
noch sehr fraglich, ob je ein direkter Ein-
fluß des Prophetenspiels ans die Fresken
von St. Angelo in Forints auzunehmen
ist, ob jemals der psendoaugustiuische Sermo
und die Altercatio in liturgischer An-
wendung stand, ob nicht überhaupt die
 
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