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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 14.1896

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Nr. 5
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Die Sibyllen in der christlichen Ikonographie
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https://doi.org/10.11588/diglit.15913#0051

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Archiv für christliche Ärmst.

Organ des Rottenburger Diözesan-Vereins für christliche Kunst.

Ueransgegeben und redigirt von Stadtpfarrer Keppler in Freudeustadt.

Verlag des Rottenburger Diözesan-Ruustvereins,
für denselben: der Vorstand Pfarrer Setzei in St. Ltzristina-Ravensbnrg.

Lr.

5'

Erscheint monatlich einmal. Halbjährlich jiir M. 2.05 durch die württembergischen (M. 1.90
im Stuttgarter Vestellbezirk), M. 2.20 durch die bayerischen und die Reichspostanstalten,
ft. 1.27 in Oesterreich, Frcs. 3.40 in der Schweiz zn beziehen. Bestellungen werden
auch angenommen von allen Buchhandlungen sowie gegen Einsendung des Betrags direkt
von der Expedition des „Deutschen Volksblatts" in Stuttgart, Urbansstratze 94, zum
Preise von M. 2.05 halbjährlich.

Oie Äbvllen in der christlichen
Ikonographie.

In der herrlichen prosa mortuorum,
die wir in ihrer jetzigen Gestalt dem
Jünger des hl. Franziskus, Thomas von
Celano (ch 1220) verdanken, erweckt die
Erwähnung der Sibylla neben dem Pro-
pheten David unsere Aufmerksamkeit; ans
das Zeugniß dieser beiden beruft sich der
Dichter, um uns an die erschütternde
Thatsache des Weltgerichts und des Welt-
unterganges zn erinnern. Dadurch, daß
dieser Hymnus selbst in der Missa pro
defunctis feinen Platz gefunden lind der
Namen der heidnischen Prophetin in den
geheiligten Räumen der Kirche geduldet
wird, ist wohl zunächst das häufige Vor-
kommen der Sibyllenbilder in christlichen
Kirchen und Kapellen zn erklären; nament-
lich wird ihre Darstellung im 15., 16.
und 17. Iahe hundert sehr beliebt, um
dann allmählich zn verschwinden.

Doch war bereits im christlichen Akler-
lhum die Meinung verbreitet, daß die
Sibyllen als gottbegnadete Wesen die
Heiden ans das Christenthum ebenso vor-
bereiteten, wie die Propheten des alten
.Bundes das Volk Israel. Die berühm-
testen Kirchenväter: der hl. Augustinus,
Hieronymus, Clemens von Alexandrien,
ferner Lactanlins und Tertullian vertreten
diese Ansicht und schreiben den heidnischen
Prophetinnen mehr oder weniger verständ-
liche Prophezeiungen zn. Doch kennen
wir in der altchristlichen Ikonographie
keine Darstellung der Sibyllen. Diese
scheint erst in der Periode des Humanis-
mus, der Renaissance beliebt geworden zn
sein. Die Verherrlichung Virgils, der
als Prophet Christi angesehen wurde,
den Dante neben der Beatrix als seinen

Führer in der Unterwelt nennt, st die Be-
schäftigung mit den klassischen Autoren,
ferner das Studium der griechischen Sprache
(die 14 sibyllinischen Bücher, die wir
noch besitzen, sind in griechischer Sprache
geschrieben), mochten nicht ohne Einfluß
ans die christliche Kunst in dieser Be-
ziehung geblieben sein. Als Fra Angelico
da Fiesoie (1387—1455) den Kapitel-
saal des Dominikanerklosters zn Florenz
mit den berühmten Fresken der Kreuzigung
schmückte, glaubte er den Sibyllen, welche
das Leiden Christi in Visionen geschaut
und voransgesagt haben sollten, dort einen
Platz einränmen zn müssen; ihm folgten
viele Künstler in Italien, Frankreich und
Deutschland. In Italien sind wohl die
bekantltesten Darstellungen der Sibyllen,
außer den genannten Fresken Fiesoles, in
den Kirchen zn Assisi, Siena, Sadra
(Barnabitenkirche), Rom, Sixtina und
3ta. Maria della Pace u. a. In Frankreich
zeigen die Kathedralen zit Auxerre, Auchu,
Comminges, Tanriac (16. Jahrhundert),
in Deutschland die Chorstühle zn Ulm
Sibyllenbilder. Die : schönsten Sibyl-
len malte Michel Angelo in der Six-
tina und Rafael in der Kirche 3ta.
Maria della Pace — gleichsam in
edlem Wettstreit das Herrlichste, was je in
dieser Weise gemalt wurde, schassend.
Seitdem wurden die Darstellungen dieser
Prophetinnen so beliebt, daß fast jeder
Meister sich darin versuchte, freilich be-
gnügte man sich später, ideale Frauen-
gestallen, angehaucht und verklärt vom
Strahle höherer Begeisterung, als Sibyl-
len zn bezeichnen. Erwähnenswerth ist

(s) O Du, des Mantuaners holde Seele — Des;
Nachruhm immer in der Welt noch kvähret —
lind ferner währen >vird, so lang die ^elt steht.

Inferno II. 53.
 
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