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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 14.1896

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Nr. 9
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Schwäbische Kruzifixbilder nebst Kruzifixbetrachtungen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15913#0094

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81

göttliche Hoheit zu geben, wenn demselben
die natürlichen Vorzüge einer entsprechen-
den Wildling mangeln. Zn dieser ent-
sprechenden Bildung des Gesichtes itnb
seiner Grundlage, des Kopfes kann aber
der Bildner ohne genügende Anatomie nicht
gelangen. Daß nun bei nusern schwä-
bischen Meisterwerken an byzantinische Tra-
ditionen ebenso wenig zu denken ist als an
ei» antikes Schönheitsideal und daß hier
nicht Modellstndien 311 Grunde liegen, keine
Akademie, vielmehr genaueste Natnrbe-
trachtnng, das braucht nicht erst ausdrücklich
versichert zu werden. Diese Köpfe sind
mit wunderbarer Sorgfalt dem Alltags-
leben entnommen — sie sind schwäbisch!
Daraus deuten der knochige Kopfban, die
breite Stirne, welche nur durch die Krone
gedrückt erscheint, die kräftig hervorschießende
Nase, bald etlvas geschwungen, bald ge-
streckt und theilweise breitrandig; die stark
überwölbten und beschatteten Angen. Alan
betrachte nur den prächtigen, ausdrucks-
vollen Kopf von Schwaigern mit dem
kantigen Schädel, der langen geraden Nase,
den ungemein fleischigen Lippen, die natür-
liche Beredtsamkeit verrathen. Kann llns
ein solcher liieht jeden Tag in unserer
nächsten Umgebung ansstoßen ? Etwas
specifisch Bürgerliches, ja Bäuerliches,
das aber „dllrch große Feinheit der Anf-
fassung nlld Durchführung geadelt ift,"2)
weht uns daraus an. Regen sich in diesen
schwäbischen Köpfen ähnliche Ideen, wie
tvir sie bene» der griechisch-römischen
Statuen unterlegen? Ganz und gar nicht!
Desto besser eignen sie sich für den Ge-
dankenkreis, um den es sich hier handelt.
Je tiefer du hineinblickst in die heilige
Schönheit dieser Gesichter, desto mehr ahnst
du, was jedes sagt, wie bit siehst, was es
leidet. Omnis figura Ejus amorem
spirat et ad redamandum provocat,
heißt es so schön im Officium septem
dolorum B. V. M. Gilt dieses mit Vor-
zug von dem unvergleichlichen Nördlinger
Kruzifixus, so stellt dagegen der Haller,
wie wir sehen werden, dem Unbnßfertigen
in erster Linie den göttlichen Zorn vor
Angen. — „Ihr alle, die ihr vorübergehet
am Wege, kommet und sehet, ob ein
Schmerz gleich sei meinem Schmerze!" so
rufen uns vernehmlich die am tiefsten ins
Leidensmeer versenkten Gestalten 31t, aber

nicht um bloß menschliche Ergriffenheit in
»ns zu erregen?) Wir sollen ans ihrer
Betrachtung (mit Wiseman zu sprechen)
„einen zweifachen Entschluß und eine zwei-
fache Kraft schöpfen, den Entschluß und
die Kraft: in Geduld und willigem Ge-
horsam zu tragen und zu üben, was Gottes
Rathschluß über uns verhängt; zufrieden
311 sein in jedem Stand, in allen Lebens-
verhältnissen, zufrieden im Leiden, geduldig
im Tode, Leben und Tod Gott anfzuopseru;
dann den Entschluß und die Kraft, in freier
hingebender Liebe Gott Opfer zu bringen
und uns selber anfzuopseru für die Brüder."
Bei dem einen dieser Bilder mögen wir
(seinem Tenor nach) Vermehrung des
Muthes und Erhöhung unserer Stand-
haftigkeit holen (Tiefenbronn), bei dem
andern Demnth und Geduld (Blanbenrer
Krenzgang), bei einem dritteil jene selige
Ruhe (Schwaigern, Nohrdorf, Heilbronn),
die den Gerechten mitten in den Trübsal'en
vollkommen und zufrieden macht und die
das Größte ist, was die Vorsehung uns
gewähren kann.

So erzählen uns diese Höhepunkte der
Kunst, welche anders als auf den Flügeln
begeisterter Andacht zu dem gekreuzigten
und anserstandenen Gottessohne nicht 311
erreichen waren, jedes in seiner Art, von
dem hehren Geheimnisse der Erlösung und
ziehen uns mit unseren Gefühlen hinein
in Christi Schmerz, daß wir gleichsam sein
Leiden miterleben und den Geist seiner
Aufopferung mit ins Leben hinanstrage».
Diese Gesichtszüge sind der treue Spiegel
der edelsten Seele, des göttlichen Herzeno.
Unsere Meister waren geniale, kongeniale
Seelenmaler!

A u m e v f u n gen:

U — ausgenommen von Photograph Sinner
in Tübingen. — In Täferroth ist der Leib
in: Verhältnis; zu dem kleinen Kopf offenbar
zu plump und zu grobknochig. Von den Fügen
ist der linke unnatürlich verzogen und ivie ver-
knöchert. Aber das Gesicht ist trotz des weit-
geöffneten Mundes, der die obere Zahnreihe
und die Zange sehen läßt, nicht unedel. Leben-
digkeit und derbe Kraft lassen sich dem Werke
nicht absprechen. In Brackenheim ist das lange,
starre Antlitz mit den brechenden Augen unb
herabgezogenen Augeubraunen außerordentlich
naturwahr, doch kaum mehr als das.^ . Die
obere Kinnlade ist sichtbar. Arme, Hände,
Füße, Brustkasten sind besser gezeichnet lind
wesentlich durchgebildeter als bei dem vorigen.
 
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