Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 15.1897

DOI Heft:
Nr. 1
DOI Artikel:
Mittelalterliche Altarwerke in Württemberg, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.15902#0010

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
4

beit sterbenden Lippen entflohen: aber mit
dem Bewußtsein der göttlichen Vaterschaft
ist auch beruhigender Friede in das zu
Tode gemarterte Herz zurückgekehrt und
hat verklärend seinen Abglanz auf den
edlen Zügen zurückgelasfen. Der un-
bekannte Meister hat es verstanden, das
Leiden und Sterben des Erlösers mit
jenem tiefen Ernst einer monumentalen
Trauer zu behandeln, welcher, ohne durch
eineu gewaltsamen Eindruck aufzuregen,
das imterste Gemüth ergreift und erfüllt.

II. Nicht ersten Ranges, aber immerhin
eine sehr bedeutende und gttter photogra-
phischer Reproduktion in hohem Grade
würdige Leistuttg spätgothischer Holz-
schnitzerei ist der Hochaltar, welcher
heute noch, vom Bildersturm nicht berührt,
von den verwüstenden Franzosen 1693
verschont, vor einigen Jahren tüchtig reno-
virt, die schöne spätgothische Chorhalle
der Stadtpfarrkirche zu Besigheim in
Württemberg schmückt.

In der Konstruktion weicht derselbe vom
üblichen spätgothischen Schema nicht ab.
Ein mächtiger Altarschrein für Ausnahme
von lebensgroßen Vollsigureu, durch eine
Erhöhung in der Mitte in drei Kompar-
timente getheilt, aus eingeschweifter Pre-
della mit drei Bitdnischen ruhend, mit
Flügelthüren ausgestattet, welche oben der
Gestalt des Schreines entsprechend eben-
falls eine rechteckige Erhöhung haben ttttb
mit Reliefs besetzt sind, überragt und be-
krönt von hohem, durchbrochenem, mit
größeren und kleineren Statueit durchsetz-
tem Baldachin oder Tabernakel. Das
ganze Werk ist 13 m hoch, bei geschlossenen
Thüren 4 m, bei offenen 7 irr breit. Attf
einer Tafel erhalten wir ein Gesammtbild
des Altars, wie sich derselbe in die Archi-
tektur des Chors einfügt; eine zweite
Klapptafel bringt den Altar sammt Flügeln
in bedeutend größerem Maßstab zur An-
schauuug und eine dritte Tafel bildet zwei
Figuren atts dem Mittelschrein, die beiden
Johannes, ab, in nochmals vergrößertem
Maßstab.

Beginnen wir mit der Predella. Das
die Nischen untrahmende Ornament ist be-
achtenswerth, schon leicht an die Renais-
sance anklingend. In der Mittelnische die
Brnstsignr der Mutter Anna „selbtritt";

sie trägt aus dem linken Arm Maria als
kleines Mägdlein in langem Gewand und
hält mit der rechten das Jesuskindlein,
welches ganz gewandlos, mit ausgebreiteten
Aermcheu aus einem in die bauschigen
Kleiderfalten eingeschobenen Kissen steht;
eine in allen Theilen, besonders auch der
Kinderfigur trefflich ausgebildeie Skulptur.
In den Nebennischen David mit der Harfe
und eine weibliche gekrönte Heilige ohne
weitere Attribttte, vielleicht St. Katharina,
die Patronin der Kirche, deren Martyrium
das Hauptbild darstellt.

Für dieses ist im Mittelschrein ein er-
höhter Standpunkt geschaffen durch einen
Untersatz mit maßwerkverziertem Mittel-
stück und zwei seitlichen Bildnischen; die
Insassen der letzteren, eine gekrönte männ-
liche und weibliche Figur, dürften vielleicht
die Stifter des Altarwerks vorstellen, zu-
mal das Gesicht der männlicheu dttrchaus
individuell und porträtartig ist; jedenfalls
sind es zwei sehr feine Figürchen mit
ausdrucksvollem Spiel der Mienen und
Hände.

Sehr merkwürdig ist nun aber die
Hauptgruppe. Wüßten mir nicht,
daß St. Katharina Patronin in der Kirche
ist, es wäre nicht leicht, diese Scene zu
deuten. So aber ist zum voraus zu
vermutheu, daß das Hauptbild des Hoch-
altars ihr gewidmet ist, und es legt sich
sofort nahe, an ihr blutiges und glor-
reiches Ende zu denken. Betend kniet die
Jungfrau da, im vollen Gewand-, Haar-
und Kronschmuck, mit entblößtem Halse;
muthig und fast fröhlich erhebt sie ihr
Antlitz zu der Gestalt, welche mit eiuem
Begleiter vor ihr steht in der Dalmatik
des Diakon, ihr ein Btich vorhält und sie
segnet. Die gekrönte Gestalt hinter der
Kttieenden kann dann nur Kaiser Mapi-
mus oder Maxentius sein, der ihr das
Todesurtheil sprach; er streckt beide Arme
nach dein Diakon aus, wie um ihm das
Buch zu entreißen, aus welchem die Mär-
tyrin solch frohen Heldenmuth geschöpft.
In etwas gebeugter Haltung, scheinbar
eifrig auf ihn einredend, steht neben ihm
eilt Höfling in reich gefälteltem und mit
großen Wollknöpfen verziertem kurzem
Rock, eine Rolle in der Hand haltend.
Das ist vielleicht der Präfekt, von welchem
 
Annotationen