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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 15.1897

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Nr. 8
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Keppler, Paul Wilhelm von: Der romanische Kirchenbau, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15902#0075
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— 66 —

auf sie zu beziehen. Dieselben endeten mit
einem Sieg der Gothik und mit dem
Verstummen der Freunde des romanischen
Kirchenbaues. Wir haben die Verhand-
lungen genau verfolgt, konnten uns aber
uid)t überzeugen, daß dieselben von beiden
Seiten immer glücklich geführt worden seien
und daß ihr Abschluß als endgültige Lösung
der großen Frage hinznnehmen wäre. Da-
her leiten wir das Recht, ebenfalls das
Wort zur Frage zu nehmen, ohne die
Ambition, den maßgebenden Schiedspruch,
fallen zu wollen, lediglich in der Hoffnung,
einiges zur Lösung beitragen zu können
oder wenigstens unfern eigenen Standpunkt
genügend zu rechtfertigen.

Man könnte zunächst meinen, die Frage,
soll man gothisch oder romanisch, soll man
gothisch und romanisch bauen, sei im
Wesentlichen identisch mit der Frage, welcher
Stil ist der vollkommene oder vollkommenere,
der golhische oder der romanische, und die
Antwort ans die letztere Frage erledige
zugleich die erste. Das ist in der That
der Standpunkt der exklusiven Gothiker,
welche in oben citierter Zeitschrift das
Wort führen. Der Hanptnerv ihrer Argn-
meiiicition ist folgendes Raisonnement: Un-
leugbar und zugestandenermaßen steht der
gothische Stil der knnsthistorischen Ent-
wicklung, der technischeit Vollendung und
dem symbolischen Gehalt nach höher als
der romanische, er ist der vollkommene
kirchliche Baustil; folglich fällt jeder Grund
und jedes Recht weg, neben ihm einen
zweiten weniger vollkommenen beiznziehen.
Reichensperger verweist auf die vierhnndert-
jährige Alleinherrschaft des gothische» Stils
un ganzen christlichen Abendland, auf „das
durchaus berechtigte Bewußtsein, das die
Meister der Gothik in sich getragen, aller-
erst der christlichen Idee vollen Ausdruck
auf dem Gebiet der Architektur zu geben,
für dieselbe auf geometrischem Grunde eine
feste Unterlage gefunden zu haben, von
welcher ans den Bedürfnissen und Aspi-
rationen aller Art in jedem Mateiial ent-
sprochen werden könne". Er beruft sich
ans alle die großen Meister, welche im
Erbauen romanischer Dome begriffen waren
und mit ihren Hutten alsbald beim Er-
scheinen der Gothik sich derselben znge-
rvendet haben, wie schwierig und störend
es für sie auch war, die ursprünglichen
Baupläne dem netten System anznpassen. I

„Und eine Rückkehr zur romanischen Bau-
weise hat nicht stattgefnnden; die dem
germanischen (westfränkischen) Genie ent-
sprossene Gothik hat nnsern Welttheil mit
formvollendeten, zum Theil glänzendsten
Knnstdenkmalen aller Art, ohne Zahl bedeckt."
Daraus zieht er den Schluß : „Man kann
dazu nur lächeln, wenit hetitzntage hier unb
da ei» Architekt oder ein Kirchenvorsteher
atlf Grund seines „Geschmackes" sich über
die vorgedachten Dombanmeister stellend,
bei dem lltenban oder der Umwandlung
einer Kirche den romanischen Stil dem
gothische» vorzieht" (II 124 f., vrgi.
IV 26 l f.). Aehnlich die Argumentation
P.ills in seinen Briefen: „Gothisch oder
Romanisch?" besonders IV 28 l ss. lind
338, an welch letzterer Stelle >vir lesen:
„Alt den romanischen Stil anznkiiüpfeii,
hat scholl deshalb keinen Sinn, lveil der-
selbe i>l naturgemäßer Entwicklung in den
gothischeil hineingeführt hat, also ganz
sicher bereits überholt ist. Mir konlint
das fast ebenso unlogisch vor, als lvelln
jetzt noch Jemand eine Dampfmaschine
nach altem Wattschen System bauen wollte."

Wir werden uns erlauben, gegeil diese
Sätze ltub Konsequenzen Front zu machen;
aber wir werden den Kampf gegen )ie
durchaus nicht etwa mit einer Anziveifelting
der Snperiorilät des gothischen Stils über
den romanischen erösfnen. Wir haben nichts
gegen die Gothik, bekennen uns vielmehr
znm Voraus als warme Freunde derselben
lind gestehen, daß ihr einst die Liebe nnseres
jugendlichen Herzens fast bis znm Fana-
tismus ausschließlich galt.

Auch wir sehen dariil einen epoche-
machenden Fortschritt und eine höhere
Stufe der Entwicklung, wenn gegenüber
dem romanischen Massen- und Manerban
mit seiner im Ganzen ruhigen Lagerung
und seiner massigen Schwere nun auf ein-
mal in der Golhik ein Strebeban ersteht,
welcher die aufwärts zielende Tendenz der
Vertikale geradezu znm Prinzip erhebt und-
sie mit solcher Konsequenz znm siegreichen
Durchbruch bringt, daß nicht mehr bloß
einzelne Theile, sondern der ganze Körper
des Baues von ihr erfaßt und in eine
rastlos aufstrebende Bewegung versetzt wird,
die erst in den Spitzen der Gewölbebogen
zur Ruhe kommt. Auch wir begrüßen
darin einen hohen Tiinmph über den
lastenden Druck der Materie, eine Ver-
 
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