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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 15.1897

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Nr. 11
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Keppler, Paul Wilhelm von: Der romanische Kirchenbau, [4]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15902#0108
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Tendenz der Zeit, die lebensfähigen nnd
voll- nnd immergültigen Bildnngselemente
möglichst aller Zeiten tvieder flüssig zn
machen nnd ansznnützen?

Doch die für Wiederbelebung nnd
praktische Verwerthnng des romanischen
Stils sprechenden Gründe erfahren noch
eine Verstärkung von anderer Seile her.
Unsere ganze bisherige Betrachtung schwebte
noch zn sehr in idealen Höhen. Die
Frage, wie nur unsere Kirchen bauen
sollen, ist aber eine eminent praktische und
fordert ein völliges Herabsteigen auf den
harten Boden der Praxis und der Wirk-
lichkeit. Unser heutiges praktisches Ve-
dnrsniß muß bei der Lösung ein Haupt-
wort, ja das entscheidende Wort sprechen.

Wir pflegen, was begreiflich ist, wenn
wir unser Unheil über die Gothik abzn-
geben nnd gar ihren knnsthistorischen unb
ästhetischen Wert gegen den eines andern
Stils abznwägen haben, nicht von den
kleinen, sondern von den großen Leistungen
derselben, von den weltberühmten Mün-
stern nnd Kathedralen anszngehen. Auch
die oben skizzirte allgemeine Charakteristik
der Goihik exemplisizirt vornehmlich oder
fast ansschliesstich ans diese. Nun haben
wir aber heutzutage höchstens noch ganz
ausnahmsweise große Kathedralen oder
Klosterkirchen oder prachtvolle Niesenkirchen
in großen Städten 311 bauen, dagegen 11111
so häufiger gewöhnliche Gemeindekirchen
für Städte nnd Dörfer mit 400—800
Sitzplätzen. Zweifellos hat nun die
Gothik auch im Kleinban sich vorzüglich
bewährt nnd z. B. in der Marienkirche von
Eßlingen und unzähligen andern den
Kathedralstil vorzüglich auf kleine Dimen-
sionen rednzirt und wahre Juwele der
Architektur geschaffen.

Aber bei unserem heutigen kirch-
lichen Banen spricht nun fast in der
Regel — wenigstens was Südoentschland
betrifft — noch ein leider die Freiheit
der Kunst sehr beengendes Moment mit
— der Kostenpunkt. Er ist heutzutage
ein mächtiger Herr, ein Diktator, dessen
Befehlen man sich nicht entziehen kann,
der peremtorifeh größte Einfachheit ver-
langt, mit scharfer Scheere allen Schmuck
der Ornamente abschneidet, sehr häufig
nicht einmal eine Wölbung der Kirche
zngesteht. Wir sind nicht der Ansicht

derer, welche die Herrschaft dieses ge-
strengen Herrn als gänzlich zn Unrecht
bestehend ansehen nnd mit Gewaltmitteln
sich ihr zn entziehen suchen. Wir glauben
nicht, daß man mit souveräner Verachtung
die flehentlichen Bitten armer Gemeinden
um einen Kirchenban, der ihre Mittel
nicht übersteigt, einfach in den Wind
schlagen nnd etwa mit jenem Worte eines
würtlembergischen Kirchenbanmeisters ver-
gangener Zeiten abthnn darf: es ist noch
jede Kirche bezahlt worden. Wir könnten
es nicht über das Gewissen bringen, wo
es nicht absolut unvermeidlich ist, durch
Kirchenbanten arme Gemeinden auf viele
Jahrzehnte in drückende Schulden zn
stürzen, so daß der Alpdruck der Umlagc-
lasten sie niemals ihrer Kirche froh wer-
den läßt. Wir glauben nicht, daß lästige
Kirchensteuern das rechte Mittel sind, um
die Gläubigen in der Anhänglichkeit an
ihre Kirche zu festigen.

Gewiß, man soll nicht übermäßig, nicht
unsinnig, nicht unpraktisch sparen bei
Kirchenbanten, nie schlecht bauen, nie so
bauen, daß von Kunst keine Rede mehr
sei» kann. Aber man soll auch, abgesehen
von den (seltenen) Fällen, wo die Kosten
keine Rolle spielen, etwa von großen
Stiftnngen oder reichen Stiftern in be-
liebiger Höhe dargeboten werden, keinen
Aufwand machen, den man nicht im Ge-
wissen verantworten kann. Alles was
nötig ist, nichts Unnötiges — das muß
hier unverbrüchliches Gesetz sein, nichts,
was in keinem Verhältniß mehr steht zu
den verfügbaren Mitteln, nichts, was nicht
i vom Bedürsniß gefordert wird, nichts,
was auch vom Standpunkt der Kunst ans
als entbehrlich nnd überflüssig erscheint.
Die kirchliche Kunst darf heutzutage keine
unbescheidenen Ansprüche machen an das
pntrimonium Christi, das ans de» Er-
trägnissen frommer Stiftnngen der Vorzeit
nnd den Opfergeldern der Gläubigen,
ans den'Hellern der armen Witwen nnd
den Pfennigen der Fabrikarbeiter znsam-
menfließt. Denn die Kirche muß ans
denselben noch vieles andere bestreiten,
namentlich auch den nngehenren Haushalt
der christlichen Charitas. Wie man mit
möglichst geringem Aufwand wahrhaft
praktisch nnd wahrhaft künstlerisch bauen
könne — das ist das große Problem des
 
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