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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 15.1897

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Nr. 12
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Keppler, Paul Wilhelm von: Der romanische Kirchenbau, [5]
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Der romanische Airchenban.

Von Professor K e p p l e r.

(Schluß.)

Ich glaube, das Resultat einer vorur-
theilslosen Untersuchung und Vecintworuing
der im vorigen Artikel zum Schluß gestell-
ten Frage müßte zu Gunsten des roma-
nischen Stils ausfallen, mindestens die Be-
rechtigung des romanischen Stils neben
dem gothischen unwidersprechlich darthnn.
Denn es kann doch wohl nicht geleugnet
werden, daß die romanische Baukunst noch
mehr geeigenschastet ist, ans der Noth eine
Tugend zu machen, leichter des Ornaments
entrathen, eher (schon wegen ihres Zu-
sammenhanges mit der alten Basilika) die
Wölbung entbehren, eher in allem fasten
und sich bescheiden kann, weil ihr ganzer
Charakter und ihre ganze Struktur schlichter,
einfacher und demülhiger ist. Ihre steinerne
Predigt wird dadurch nicht eindruckslos, viel-
leicht nur noch eindringlicher; renn sie pre-
digt vornehmlich den Ernst der Buße, Ab-
lötung und Entsagung. Tie Gothik er-
scheint in Armnlh und Entbehrung eher als
Bettelkind, welches nicht hat was es zum
Leben bedarf, dessen Charakter Noth leidet,
das seinen Hunger zum Herzen klagt. Wir
sagen nicht, daß sie unter solchen Verhalt-
llissen nichts Befriedigendes mehr zu leisten
vermöge; aber wir behaupten gewiß mit
Recht, daß der romanische Stil eben so
Befriedigendes, oder noch Befriedigenderes
leiste, und daß man daher kein Recht habe,
ihn zet verbieten.

Schrörs ist allerdings der Ansicht, daß
der romanische Stil unseren heutigen Be-
dürfnissen ferner stehe als der gethische und
durch Adaptirung an dieselben wesentlich
von seinem Charakter einbüße. „Teßhalb
haben ihre (der romanischen Kunst) neuesten
Nachahmer auch ganz spezifische Eigenthüm-
lichkeiteu, wie die Doppelchörigkeit, die spär-
lichen Lichtöffnungen, die großen Choran-
lagen, die Krypten, stillschweigend preisge-
geben und bauen mächtige Westsassaden mit
schlanken und hochragenden, aber dem ro-
manischen Geist widerstrebenden Thürmen.
Die spätesten, schon von der kommenden
Gothik beeinflußten Bauten dienen zum
Muster, und mit gothischer Freiheit pflegen
namentlich auch die Raumvertheilnng lind
die Höhenentwicklung getroffen zu sein. Es

sind nicht selten gothische Gedanken, die
nur in romanischer Formenspraebe ausge-
sproeben sind" („Zeitschrift" IX, 245).
Sollte wirklich der Doppelchor, die Krypta
und eine besonders große Choranlage so
zum Wesen des romanischen Stils gehören,
daß dieselben ohne Berseblecbterung desselben
nickt wegfallen oder modifizirt werden könn-
ten? Und ist der romanische Stil schon
verdorben tind verlassen, tvie manche meinen,
tventl mau die Fensterschlitze der Früh-
romanik zu ordentlichen Fenstern erweitert?
Sind denn etwa diese kleinen Fensterchen
durch das romanische Bauprinzip gefordert?
Ich habe das nie glauben können; ich sehe
den Grund der sparsamen Lichtöfsnuugen
lediglich in dein Mangel oder der Schwie-
rigkeit der Verglasung. Hat nicht der
romanische Stil alsbald selbst eine Er-
weiterung vorgenommen, sobald die Glas-
tualerei sich höher eittwickelt hatte? Hat
er nickt, um den Lichtzusluß zu vermehren,
jene hübsch gekuppelten und gedreiten Fen-
steranlagen und die schönen Rosen in seine
Manerflächen eingebrochen? Daß vielfach
in einem wildroinanischen Stil gebaut unnbe
und daß mancher romaitischeNeltbau stilistisch
verfehlt ist, kann nicht geleugnet werden;
aber sind etwa alle gothischen Neubauten
wirklich gothisch?

Aber, so lautet ein letzter Eiitwand, man
kann überhaupt nickt in ztvei Stilen zugleich
baueit, ztvei Stile gleichzeitig kultiviren.
Hat jemals eine Zeit zwei Stile gehabt?
Wird nicht die gleichzeitige Pflege zweier
nothwendig beide verderben? Wird nicht
vollends ein Architekt, der ztvei Stile lernen
und praktisch verwenden will, nothwendig
dahin kommen, daß er keinen versteht und
beide verpfuscht?

Noch nie hat eine Zeit zwei Stile ge-
habt, das ist vollständig richtig. Es hat
auch noch nie eine Zeit keinen Stil ge-
habt, bis ans die unsrige. Alle anderen
Zeilen hatteit je ihre >t Stil, neben welchem
ein zweiter nicht denkbar und iticht möglich
war. Wir haben keinen, daher auch feinen
alleinberechtigten. Wir sind auf Entleh-
nungen nnb Nachbildungen angewiesen;
warum sollten wir bloß Gothisches, nicht
auch Romanisches nachbilden uitd entlehnen
dürfen? Das erscheint ja, wie schon oben
angebeutet, so recht als unser providentieller
Berns, was wir ererbt von den Vätern zu
 
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