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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 17.1899

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Nr. 10
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Hafner, Otto: Neu entdeckte Wandgemälde in der Gottesackerkapelle von Bieringen, Oberamt Horb, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15904#0100

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Regenbogen, auf dein Christus sitzt, läuft
allerdings etwas spitzförmig zu. Ein
langer, brauner Mantel, der vornen offen
ist, fällt von der Schulter herab. Diese
Gestalt wirkt majestätisch und erinnert in
ihrer Wiedergabe ait romanische Malweise
(z. B. in der Kentheimer Kapelle, OA.
Calw). Rechts von dem sitzenden Wel-
tenrichter kniet eiiie 75 cm hohe Franen-
gestalt mit großem Heiligenschein und fal-
tigenl Ueberwurf über Kopf und Schul-
tern. Die Frau hebt ihre großen Hände
gefaltet, flehend zu Christus enlpor: es ist
die Madonna supplex, die Gnade vor
Recht erbittet für die armelt Atenschen-
kinder. Csiie ganz ähnliche, allerdings
plastische Darstelluitg findet sich all einem
der Südportale der Eßlinger Fratlelikirche.
Links hinter Dtaria erblicken lvir zwei
kleüle Gestalteli mit Heiligenschein (Engel)
in Vs Größe von Btaria und Christus,
lieber ihnen ist eine Lanze. Von oben
links bringt ein kleiner Engel durch die
Luft ein kleines gelbrothes Kreuz und eine
gelbe Geißel zu Christus herbei. (Vgl.

ähnliche Darstellungen in Burgfelden und
Reichenau, „Archiv" 1893, S. 1 f.) Links
von dem Heiland ist nichts mehr bemerkbar.

Nachdem wir so dem Leser ein möglichst
getreues Bild jener Darstellungen gegeben,
erübrigt es noch kurz einzugehen auf tech-
n i s ch - ä st h e t i s eh e und k u n st h i st o.r i s ch e
Fragen.

Was zunächst die Anordnung der
Bilder betrifft, so ist uns unzweifelhaft,
daß wir es ähnlich wie in Ehestetten
(vgl. „Archiv" 1896, S. 1 ff.) mit einem
doppelten V i l d e r c p k l u s zu thun
haben. Oben auf der Nordseite, vielleicht
noch etwas weiter westwärts (für das Bild
der Verkündigung Myriä) sind Scenen
aus der Kindheitsgeschichte Jesu, bezieh-
ungsweise der Lebensgeschichte Mariens
(Mariä Heimsuchung und Anbetung des
Christkinds) erkennbar. Nun aber finden
wir immer wieder auf der Ost- und Süd-
seite in den oberen Feldern Spuren der
Bemalung. Ziehen wir zum Vergleich
den oberen Cpklns aus dem Leben MarieH
in Chestetten (a. a. O. S. 1 und 6) her-
bei, so ergibt sich der Schluß: Unsere
Bilder in den oberen Feldern sind Cyklus-
b i lderausderKindheitsg e s ch i ch t e
Jesu und dem Leben Mariä. Dar-
unter zieht sich hin ein Cpklns von

Bildern aus der Passion Christi.
Diese Bilder aus der Lebens- und Leidens-
geschichte Jesu beziehungsweise Marias mit
ihrem lieblichen und erschütternden Inhalt
kehren unzähligemale wieder in der mittel-
alterlichen Kunst. Sie waren hier wie in
anderen Kirchen ein plastisches und dra-
stisches Anschauungsmittel für Geist und
Herz des Volkes, ein Leitfaden für Gebet
und Betrachtung, zugleich eine Zierde des
Gotteshauses. Die Passionsscene in unserer
Kapelle beginnt mit dem Gebet am Oel-
berg, geht weiter zur Gefangennahme; es
folgte dann wohl Christus vor Pilatus,
dann (wieder theilweise sichtbar) die Geiße-
lung. Aus der Ostseite wird sich daran
angeschlossen haben Dornenkrönung, Kreuz-
tragung oder das im Mittelalter so be-
liebte Erbärmdebild. Rechts vom Ost-
senster ist wieder erkenntlich Kreuzigung,
Beweinung Christi und dann wohl als
Ende des Leidens und Anfang der Herr-
lichkeit die Auferstehung aus der Südseite.
Es könnte auch sein, daß der Maler von
der historischen Abfolge etwas abging, wie
dies ja öfters der Fall war (z. B. gerade
in Ehestetten, sodann auch in dem Pas-
sionscpklus der Ottilienkapelle zu Plochingen
aus dem Jahr 1432, wo ebenfalls eine
doppelte Bilderreihe, oben Scenen aus
Ottiliens Leben, unten die Passion Christi
angebracht ist). In Verfolg des oberen
Gemäldecpklns hat die Kombination noch
ein weiteres Feld, da nur zwei Bilder er-
halten sind aus jener Geschichte. Als dra-
matischer Abschluß und effektvolle Auflösung
dieser zwei Bilderreihen erscheint im beides-
theiligen Zusammenfluß das große Endbild:
Christus als Weltenrichter, einstens das
Kind von Bethlehem, geherzt und gepflegt
von Maria. Jetzt sitzt es als Richter
kraftvoll da. Die ansgebreiteten Hände
mit den Wundmalen sind ein Zeichen des
Sieges Christi, ein Trost für die Gerech-
ten, ein Schrecken für die Sünder, zu-
gleich eine Illustration der Prophetenstelle:
viderunt in quem transfixerunt. (Zacha-
rias 12, 10; Joh. 19, 37), und ein ernster
Mahnruf aus Volk, in allem der letzten
Dinge zu gedenken, besonders des Gerichtes
(Sir. 7, 40). Die Schmerzensmutter
M«ia aber kniet noch jetzt im furchtbar
ernsten Augenblick der göttlichen Rache vor
dem Hex trernendae maiestatis und waltet
ihres erhabenen Fürbitterinamtes. All'
 
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