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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 19.1901

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Nr. 5
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Schermann, Theodor: Die christliche Ostung, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15906#0042

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34

lief) war. Nach VitrnuinsH) Vorschrift
sollte der Eingang an der Westseite sein,
der Altar nach Morgen schauen, obwohl
man einigemal von dieser Norm nbging?)

Während bei den Heiden die Tempel
aber der Sonne als solcher erbaut wur-
den nitb daher die östliche Richtung we-
sentlicher Kultausdruck war, galt es bei
den Juden als strengstes Gesetz, immer
nach Westen zu beten. Denn gegen Sonnen-
atlfgang int Gebete sich zu wenden, galt
als Götzendienst, welchen Jehova selbst
dem Propheten Ezechiels gegenüber ver-
pönte. Darin aber, daß die Inden ihre
Tempel von Ost nach West richteten,
gaben sie zugleich Zeugnis für die all-
gemeine Völkeransicht des Erdteppichs,
welche in der viereckigen Lage der Stifts-
hütte sichtbaren Ausdruck erhielt ?) es
findet sich überhaupt in ihren Büchern
die Richtung von Nord nach Süd seltener;
dagegen kehrt die Redensart voin Anf-
gange bis znm Niedergange oft wieder?)
Joseph u s F1 avinso) ließ sich offenbar
durch praktische Gründe verleitet zur Ansicht
herbei: der Zweck dieser Ost-Westrichtnng
der Stistshütte, wie auch des salomonischen
Tempels in Jerusalem? habe in der Ver-
ehrung :ind Weihe dieser hl. Gebäude
bestanden, so daß die Sonne ihre ersten
Strahlen in sie hätte werfen sollen. Es
ist nicht ohne Werth, noch die weiteren
Dentnngsversnche aufzuzählen, da sie uns
zugleich Anhaltspunkte geben für die Er-
klärung der christlichen West-Ostrichtung.
Eine weitere Erklärung bietet Spencer?)
welcher die jüdische Sitte, den Eingang

Vgl. K. O. Mütter: Kunstarchäotog. Werke. Berlin
1873. I. Bd., S. 155.

') De archit. 1. IV, c. 5 (ed. Rose p. 94);
1. IV. c. 9 (p. 100). Vgl. Karl Bötticher: Tektonik
der Hellenen. Berlin 1862, II. Bd., 3. Buch,
S. 34. Andr. Schund: Der christl. Altar 'und
sein Schmuck. Negensburg 1871, S. 10.

2) Alberdingk-Thijm : de heilige Linie

Amsterdam 1858, p. 8 ff. 13.

3) Ezech. 8, 16.

*) Exod. 26, 18; 20,22; 36, 23. Rum. 3,38.

b) Ps. 49, 1; 64, 9; 74, 7; 102, 12; 106,
3- 112, 3. Zach. 8, 7. Malach. 1, 11. _ Isa.
43, 5 • 45, 6; 49, 17. Baruch 4, 37; 5, 5.

,ß) Anliqu. IIL 6 n. 3 (ed. J. Bekker, Lips.
1855. Vol. I, 145).

7) Ezech. 43, 17.

8) Spencer: de leg. hehr. rit. 1. IIL disp. 6,
sect. 4 de orig, templi c. 2, 6.

itncf) Osten zu richten, als von den Aegpptern
erborgt angesehen wissen will. Historisch
aber steht fest, daß bei den Aegpptern
nicht durchgängig die westliche Richtung
nach dem Nile vorherrschend war, wie ja
Psammetich der zu Memphis verehrten
Gottheit zu Tigög ecu TCQOTivÄcuov ? er-
baute.

Der jüdische Litnrg Maimonides
und andere Rabbinen? suchten den Grund
hiefür in einer Opposition gegen die heid-
nische Sitte, nach welcher das Götterbild,
die Sonne darstellend, nach Osten ge-
standen, um nicht den Verdacht einer an
Götzendienst streifenden Verehrung der
Sonne aufkommen zu lassen.

Dieser Opposition gegen das Heidnische
jedoch hatten die göttlichen Ceremonial-
gesetze nicht ihr Entstehen verdankt, als
ob ein positiver Grund abginge, ebenso-
wenig wie die christliche Bauweise mit der
Vorderseite nach Osten, nur von dem Ge-
gensatz zu den Inden hervorgegangen sein
kann.

Den Hebräern sollte die Stistshütte das
Bild des Weltbanes sein; und zwar war der
Eingang und die Vorderseite nach Osten?)

— da nach dem hebräischen Sprachgebrauch
Osten und Vorderseite identisch — die
Rückseite nach Westen — da beides ein
und dieselbe hebräische Benennung hat

— während die beiden Langseiten nach
Süden und Norden bestimmt waren.

Allerdings ist kein Grund einznsehen,
warum die Christen nicht ebenso gedacht
haben sollten über die Gestalt der Erde
wie alle andern Völker; sollte aber die
Sitte, welche schon vor Konstantin zum
Gesetze geworden war, daß nämlich die
christliche Gemeinde beim Gebet und Opfer
mit dem Gesichte nach Osten gewandt
war, nur ans dem Gegensätze zum jü-
dischen Verbote, nach Osten zu beten, ent-
standen sein? Zwar wissen wir, daß in der
alten Kirche die Stations- und Fasttage
aus Mittivoch und Freitag verlegt wurden,
znm Teil mit Rücksicht ans die jüdischen

1) Diodor Sic. bibl. hist. 1, 67 ed. Fr. Vogel,
Lips. 1888, Bibi. Teubn. Vol. I. p. 114. lle-
rodot hist. 1. II. 136 ed. C. Abicht. Lips. 1869.
Vol. I. p. 155.

2) Maimonides. More Nevoch. III, 4o. Aoseil-
„iMer: Morgenland. Bd. IV, S. 321.

3) Exod. 26, 18.
 
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