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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 19.1901

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Nr. 6
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Reiter, Joseph: Schlußsteinfragen, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15906#0055

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den Schlußsteinen Schweißtnch, Atadonna,
Heilige. Den Chor, welcher in einen
untern und oberu Chor zerfällt, deckt ein
Rippeukreuzgewölbe mit Nosettenschluß-
steinen. Der Thurm zeigt im ersten
Geschoß ebenfalls ein Nippenkrenzgewölbe
mit Laubwerk im Schlußstein." Die An-
gabe über die Nosettenschlnßsteine bedarf
einer Berichtigung. Wenn man sich näm-
lich auf den oberen Chor begibt und von
dort ans die Gewölberosen betrachtet,
sieht man über sich einen Kopf, mit wel-
chen sich Laubwerk windet, oder aus welchem
Laubwerk herauswächst. Aehnliche Steine
finden sich in der evangelischen Nikolans-
kirche in Heilbronn (Köpfe in Laubwerk,
IW. Keppler, S. 159), in der Regins-
windiskirche zu Lausten (Rose und blätter-
bewachsener Kopf S. 21), S. Aegidius-
stiftskirche in Neustadt a. d. H., im Mün-
ster zu Salem, im Salemer Hof zu lleber-
lingen und anderwärts. Ob die Steine
zu Neckarweihingen (Rosette mit Gesicht)
und Hilgartshansen (Rose mit eingezeich-
netem menschlichem Gesicht) auch hieher
gehören, mag dahingestellt bleiben. Was
hat es nun aber mit den belaubten Köpfen
für eine Vewandtniß? Ich weiß keinen
Bescheid und lasse deßhnlb gerne wieder
Dr. Mone zum Worte kommen, welcher
bei der Beschreibung der eben genannten
Aegidiusstiftskirche (Bd. 19 S. 68) fol-
gendes bemerkt: „Zum Verständnisse zweier
Schlußsteine in der Sakristei und deren
ursprünglicher Bestimmung muß eingehen-
der von der bildlichen und symbolischen
Darstellung der Buße, Reue, Beicht und
der Neigung des Menschen zur Sünde
gesprochen werden.

Jene Steine der Sakristei zeigen ein
menschliches Antlitz, ans dessen Stirne,
Angen, Ohren, Mund und Kinn Blätter
herauswachsen, d. h. hervorwnchern. Das
ist die allegorische oder emblematische
Knnstform, welche belehren soll, daß die
Sinne, deren Organe am Kopfe sind, als
Ursachen vieler Sünden betrachtet werden.
Man hatte im Mittelalter nach den Wor-
ten Christi: Ans dem Herzen kommen die
bösen Gedanken •— die Rene, Buße und
das offene Sündenbekenntniß (sogenannte
offene Schuld oder Confiteor) als ein
durch Gewissensbisse entstelltes Antlitz auf-
gefaßt und bildlich verwerthet, aus dessen

Stirne, Angen, Ohren, Mund, Wangen
und Kinn Laubwerk heranswächst. Das
sollte eine Art ramilicatio vitiorum und
peccatorum sein. Gewöhnlich wurde ein
solches Bild ans Gewölbeschlußsteinen an-
gebracht und zwar, wenn möglich, gegen-
über denjenigen Gewölberosen, welche
symbolisch oder emblematisch Christus, die
Trinität, das heilige Altarssakrament oder
Maria darstellen. Dieses Symbol be-
zieht sich ans das betrachtende Gebet der
Mystiker, welches ungefähr also lautet:
Jeder Mensch geht mit dem Tode in das-
jenige Haus der Ewigkeit, welches er in
seinem Erdenleben sich selbst gebaut hat.
Der Teufel ladet ihn ein, mit etwas
Vergniigen sein Hans in der Hölle zu
bauen, Christus aber ruft ihm zu, sein
Haus im Himmel mit Rene, Reueschmerz,
Bekenntniß der Sünden und aufrichtiger
Buße zu errichten. Diesem Rufe bekennt
und gelobt der Bauherr wie der Ban-
; meister uud Bildhauer öffentlich, Folge
leisten zu wollen und läßt jenes symbo-
lische Bild desselben in dem richtig ge-
wählten Gewölbeschlußstein anbringen.
Da die Buße (poenitentia) als primus
gradus ad peifectionem erklärt wird, so
ist ans dem ersten Gewölbeschlnßstein beim
Eintritt in den S. AegidiusstistS- Chor-
eben jenes menschliche Angesicht mit Laub-
werk dargestellt. Auch war bei jenem
Symbole die Vorstellung der Mystiker
maßgebend, daß durch die Sünde die
Seele des Menschen mit Krankheit be-
haftet sei. Das kränkliche Antlitz, ans
welchem Laubwerk wuchert, sollte den
kranken Zustand der menschlichen Seele
allegorisch darstellen. Deßwegen findet
man dieses Bild neben dem Symbol des
von Sünden gereinigten Menschen in den
Beichtkapellen. Denn Christus wird hier
als Arzt der Seelen aufgefaßt und Maria,
als fünfblättrige Rose dargestellt, wird
als rosa mystica angerufen wie das
Kirchenlied lautet:

„Du cs vera medicina, ad sanan-
dum nos festina.“

Wenn diese Ausführungen Mones rich-
tig sind, dann dürfte der also gedeutete
Schlußstein die an sich so interessante
Liebsrauenkapelle noch interessanter machen;
nur schade, daß man das Bild nicht
deutlich sehen kann, weil es übertüncht
 
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