Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 19.1901

DOI Heft:
Nr. 10
DOI Artikel:
Detzel, Heinrich: Ein Gang durch restaurirte Kirchen, [18]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.15906#0083
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Sn Gang durch restaurirte Airchen.

Von Pfr. Detzel.

(Fortsetzung.)

16. Kißlegg, OA. Wangen.

Wie wir schon oben bemerkt, ist die
Kirche in Kißlegg mit Fresken ansge-
stattet, welche die Plafonds des Chores,
des ganzen Mittelschiffes und der Seiten-
schiffe bedecken. Es darf und muß diesen
Fresken unbedingt eine große Bedeutung
beigelegt werden, sowohl was ihre Aus-
dehnung als die ausgezeichnete Tüchtigkeit
ihrer Ausführung anlangt, wenn sie auch
bisher so ziemlich unbeachtet geblieben
sind. Tie nehmen in beiden Beziehungen,
ihrer Zahl und Tüchtigkeit nach, wohl
sicher den ersten Rang ein unter allen
Arbeiteil dieses Genres, die mir in den
Kirchen des württembergischen Oberlandes
finden, mit) sind besonders jetzt nach ihrer
Restauration der Besichtigung jeden Kunst-
kenners und Kunstfreundes in hohem Grade
werth. Ihre Renovation durch Kunstmaler
R o t h muß als eine durchaus gelungene
bezeichnet werden und der Unterschied zwi-
schen diesen bloß gereinigten Fresken des
Schisses und den übermalten des Chores
springt sofort auch jedem Laien in der
Lache ins Auge. Mit größter Pietät und
Berständniß wurde hier der ursprüngliche
Charakter der Bilder in Farbe, Zeichnung
und Komposition zu wahren gesucht, in-
dem ste nur sergfältigst gereinigt wurden;
nur ivo es absolut geboten erschien, wur-
den Lichter aufgesetzt und die wenigen
fehlenden Theile ergänzt. Ueberalt, wo
es nur möglich war, läßt uns der Re-
staurator den ursprünglichen Meister vor
Augen treten.

Was den Inhalt der Darstel-
lungen anlangt, so ist an der flachen
Kuppel des Transepts das heilige
Abendmahl in sehr gewandter Kompo-
sition gemalt. Der Abendmahlssaal ist
selbst wieder als Kuppelgewölbe gedacht,
das von vier Doppelkaryatiden (Atlanten)
getragen wird und von dem Engel herab-
schweben. Gegen den Hochaltar hin sieht
man die Austheilung der heiligen Kom-
muilion durch Christus den Herrn selbst;
rechts erscheinen Gläubige voll Demuth
und Andacht, von links her aber kommen
die Zweifelnden und Ungläubigen, dar-

unter Judas. Am Plafond des Chores
lieht man die Geburt Christi, während an
den Decken der beiden Oratorien rechts
das Pfingstfest, links die Himmelfahrt
Christi gemalt ist. Wie schon oben be-
merkt, wurden alle diese Bilder bei einer
früheren Restauration stark übermalt; doch
lassen die Kompositionen immerhin noch
auf einen tüchtigen Meister schließen.

Das Mittelschiff der Kirche wird von
einem mächtigen Tonnengewölbe über-
spannt, das einen Flächenraum von 351
Quadratmetern einnimmt. Dieses ganze
Gewölbe ist mit einem Freskogemälde
überzogen, das eine einzige und ein-
heitliche Komposition darstellt, die aber
von den Betrachtern bisher verschieden-
artig gedeutet wurde. Dem ersten Blicke
scheinen sich allerdings verschiedene Scenen
zu präsentieren und meint man besonders
in den Heiligengruppen je abgeschlossene
Darstellungen für sich zu sehen, llnd doch
haben wir, wie gesagt, eine, wenn auch
sehr ausgebreitete Komposition vor uns:
es ist hier nichts anderes als der Tri-
ll mph der Kirche über die Häresie
dargestellt. Um diese Darstellung nach
ihrem Ursprung und Inhalt zu erklären,
müssen wir aber etwas weiter ausholen.

Aus dem innersten Lebenskern des
katholischen Gottesdienstes, dem heiligen
Meßopfer, haben sich in der mittelalter-
lichen Kunst zwei Gestalten entwickelt,
welche die christliche Ikonographie als
Personifikationen des Alten und Reuen
Testaments bezeichnet, nämlich d i e K i r ch e
und die Sy n a g o g e M. Acht Jahr-
hunderte lang, vom 9. bis zum 16. Jahr-
huudelt, hat sie die christliche Kunst haupt-
sächlich zu beiden Seiten des Gekreuzigten
dargestellt. Die Kirche (Ecclesia) als
allegorische Gestalt der Synagoge oder
dem Judenthnm gegenübergestellt, ist als
jugendliche Königin reich und festlich ge-
kleidet, sie trägt in der einen Hand die
Siegesfahne, in der anderen hält sie den
Kelch, in welchem sie das Blut Christi
auffäugt, wodurch ihr selbst Leben und
geistliche Al acht verliehen wird. Die
Synagoge sieht man als entthronte Königin,
der die Abzeichen ihrer Würde entfallen,

') Bergt. Di-. Paul Weber, „Geistliches
Schauspiel und Kirchliche Kunst". Stuttgart.
Paul Reff. 1894 S. 136 ff.
 
Annotationen