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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 19.1901

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Nr. 10
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Detzel, Heinrich: Ein Gang durch restaurirte Kirchen, [18]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15906#0084
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als Frau mit verbundenen Augen und
zerbrochenem Stabe, sie hat auch zuweilen
die Gesetzestafeln und das Messer der
Beschueiduug in der Hand. Aber nicht
nur neben dein Kruzifix finden sich die
beiden Gestalten, sondern sie treten auch
selbständig, losgetrennt von der Darstel-
lung der Kreuzigung, ans und erscheinen
z. B. als mächtige, überlebensgroße Ge-
stalten zu beiden Seiten der Hanptportale.
Viollet le Duc, der bekannte Gothiker,
meint zwar, daß sich die großen Frei-
statnen der Kirche und Synagoge nur an
den Kirchen solcher Städte finden, in
welchen im Mittelalter starke Jndengc-
meinden umreit, wie in Paris, Bordeaux,
Straßbnrg, Worms und Bamberg; allein
sie sitiden sich tut den Kirchen nicht nur
kleinerer Städte, sondern auch an Dorf-
kirchen uub Klosterhöfen.

Verschiedene Feinde waren es, mit wel-
chen die Kirche 51t kämpfen hatte, welche
sie zu vernichten suchten, über die sie aber
int Laufe der Zeiten trinmphirte. In
den bildlichen Darstellungen dieser Kämpfe
lind Triumphe, besonders wie wir hier
im ganzen Mittelalter hindurch sehen,
spiegelt sich eine ganze Geschichte der Kirche
nneder. Da galt es zunächst, das dunkle
Heidenthnm zu bekämpfen und ansznrotten.
Darum sehen wir in den ältesten Dar-
stellungen der Ecclesia, wie sich finstere
Ungeheuer unter ihren Füßen krümmen,
wie teuflische Gestalten anf sie eindringen,
une sie dem alten Drachen den Krenzstab
in den Nachen stößt und zugleich der
Synagoge die Krone vont Haupte reißt
und dergleichen mehr. Die Kreuzzüge
halten wieder andere Gestalten tinter die
Füße der Ecclesia gebracht: es waren die
Sarazenen, gegen welche das abendlän-
dische Christenthum jetzt 51t kämpfen hatte.
Noch währetid dieser Zeit aber hatte sich
die Kirche wieder gegen einen andern, noch
gefährlicheren Feind zu kehren, das war
die „Fratt Welt", welche den Menschen
in ihre Fallstricke zu locken suchte.

Auf den Zügen znnt fernen Morgen-
lande nämlich, in der Pracht des Orients,
in der lebhaften Berührung mit den ver-
schiedenen Völkern der Erde, da gieng dein
bisher unter dem Schutze der Kirche leben-
den Menschen der Sinn für diese Reize(
der Erde mehr als bisher ans, die „Frau j

Welt" lockte ifju mit süßen Stimmen, diese
Reize 51t genießen.

Diesen gefährlichen Feind finden wir
darum als Warnung für die Gläubigen
ait den Eingängen der Dome und zwar
als lockendes Weib, mit Krone und wal-
lendem Haare dargestellt, reizend, aber
nur an der Vorderseite, ivährend der
Rücken von Kröten, Schlangen und der-
gleichen Ungeziefer bedeckt ist, so an der
St. Sebaldkirche zu Nürnberg, am Süd-
portal des Wormser Doms, am südlichen
Westportal des Straßburger und in der
Vorhalle des Freiburger Münsters u. s. w.

Weiterhin waren es dann die „Hae-
retici", welche immer kühner ihr Haupt
erhoben und gegen die Kirche anstürmten,
und, da diese jetzt gegen einen so vielfachen
Feind anznkämpfen hatte, wurde die Ecclesia
in der bildlichen Darstellung zu einer förm-
lichen Festung nmgewandelt. Da finden
wir einen Stich des Meisters P. S.
wo „die Dämones die Festung von rechts,
die Inden von links, die „Heretici" und
„Tnrci" von vorn bestürmen. Aber der
Kirche braucht nicht bange zu sein, ihr
Thurm ist Christus („Caput Ecclesie").
Ans den Nebenthürmen sind die Engel
und die „Doctores" zur Vertheidigung
bereit, an den Mauern kämpft der „Status
secularis", der Kaiser mit seinen Vasallen,
daneben der „Status spiritualis", der Papst
mit dem Klerus".

Seit dem zweiten Viertel des l 6. Jahr-
hunderts hatte die Ecclesia dann besonders
gegen die „Ilaeresia" des jungen Prote-
stantismus zu kämpfen und setzte hier auch
alle ihre Kräfte ein. Neben den häufigen
Darstellungen des Kampfes gegen diesen
neuen Feind erschienen jetzt besonders auch
zahlreich die sogenannten „Trinmph-
züge der Kirche", welche die über-
windende Macht der Kirche über die Irr-
lehre zeigen sollten. Dieses Lieblings-
thema der kirchlichen Kunst jener Zeit
zeigt die Ecclesia anf einem Wagen thro-
nend, die von den vier Evangelijtensym-
; bolen gezogen wird, begleitet von den vier
abendländischen Kirchenvätern, vom Papst,
von Christus, gefolgt von den Schaaren
der Märtyrer nnd Heiligen, vorauf Engel
j und die Gestalten des Allen Testaments

l) Weber, 1, c, 142.
 
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