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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 20.1902

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Nr. 6
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Reiter, Joseph: Material zur Kümmernislegende, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15935#0076

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G6

Material zur Rüminermslegeiide.

Von Pfarrer Reiter in Vollnmringen.

(Schluß.)

Rehorn sieht in den Kümmernisbildern
Reste der Verehrung des germanischeil
Gottes Thor. Ihm folgt Karl Albrecht
Bernonlli in seinein 1900 erschienenen
Buch über die Heiligen der Meroivinger.
I)r. Sepp änsiert sich iit seiner Religions-
geschichte von Oberbayern also: „Die

hl. Kümmernis ist eine inannweibliche
Jnngslan, sie stellt dar die Madonna der
Urzeit, welche keinen Mann erkannte. Diese
gekreuzigte bärtige Jungfrau hat den: (Klau-
ben an den Gekreuzigten Vorschub ge-
leistet. Wir haben hier im Weltglauben
eine crucifixa ante crucifixum. Sie hat
langes Haar riud Bart und dazu ein fener-
rothes Gewand. Karl der Große und
Bonifatius unterstellten einfach das Kruzifix.
Gaiinenried (Untergammenried) bei WöriS-
hofen besitzt sie."

Wir wollen unb können uns ein llr-
theil über vorstehende Erklärungsversuche
nicht erlauben, es will uns aber doch be-
diinken, daß mehr Beachtung verdiene die
von Schäfer in seiner kleinen Schrift „Der
Hülfensberg im Eichsfeld" (1853) aufge-
stellte Vermuthnng, daß die Bilder der
bärtigen Jungfrau am Kreuze ursprüng-
lich nichts anderes gewesen seien, als alter-
thümliche Kruzifixe aus der Zeit, in welcher
man den Heiland anr Kreuze noch nicht
nackt, sondern im langen Gewände dar-
stellte. In späterer Zeit, als inan schon
die nackten Heilande gewohnt gewesen,
seien jene älteren Bilder als fremdartig
ausgefallen und das lange Gewand habe
Veranlassung gegeben zu dem Glauben,
hier sei nicht Christus, sondern eine bär-
tige Jungfrau gekreuzigt. Sofort sei denn
auch aus den: Heiland und Helfer eine
weibliche Hilfe gemacht worden. Diese
Hypothese von Schäfer theilt Menzel nicht,
allein eswird kaunr bestritten werden tonnen,
daß sie iveuigsteus theilweise das Richtige
treffen mag. Manche als Kümmernis-
bilder angesehene und verehrte Kreuzbilder
dürften in Wahrheit nichts anderes sein
als wirkliche Kruzifixe. So heißt es int
„Archiv für christliche Kunst"Jahrgang1892
S. 87: „Wir haben in Württembergs

kirchlichen Knnstalterthümern S. 312 ans

Wolfarlsweiler ein romanisches Kruzifix
notiert, welches wohl wegen des starken
Hervortretens und der Rundung der oberen
Nippen der hier entblößten Brust auch
für ein Knmeranabild gehalten wurde.
Dagegen erscheint es wenig wahrscheinlich,
daß derartige Krnzifixbilder die ganze Le-
gende von der hl. Wilgefort oder Knmerana
erst veranlaßt hätten; vollends bliebe un-
erklärlich die Episode mit dem Geiger und
dem Schuh.

Eben die letztere, welche iit belgische
Bilder der Heiligen und in das von Prag
mit einverwoben ist, führte die bei den
Bollandisten citirten Gelehrten Franz Bi-
varins und Baron Heinrich Julius von
Blnn auf eine andere Fährte. Ihre An-
sicht ist, daß die Kumeranabilder wohl
ursprünglich nichts anderes gewesen seien
als Kopien des sogenannten Bolto
Santo i in D v m e z n Lu c e a in Italien.
Denn an dieses Kreuzbild hefte sich eben
die Sage, daß es einmal einem Armen
oder unschuldig Verfolgten den silbernen
Schuh zugeworsen habe."

Diese Fährte hat tu jüngster Zeit Pro-
fessor Dr. Schnürer in Freibnrg in der
Schweiz weiter verfolgt und hat die Er-
gebnisse seiner Forschung iu einem in der
historischen Sektion der Generalversamm-
lung der Görresgesellschaft zu Koblenz ge-
haltenen Vortrag veröffentlicht. Der Vor-
trag ist später in der literarischen Beilage
der „Kölner Volkszeitnng" (1901 Rr. 24)
erschienen ‘), und wir entnehmen demselben
für unsere Zwecke Nachstehendes: Der
Volto Santo ist ein int Mittelalter im
ganzen Abendland hochberühmtcs hölzernes
Kruzifix, welches beit Heiland darstellt,
wie er mit offenen Auge», langen, ans
die Schultern herabfallenden Haaren, be-
kleidet mit einer den ganzen Leib be-
deckenden Aermeltunika am Kreuze hängt.
Dieses Kruzifix wird noch heute in Lucca
hoch verehrt und befindet sich in einem
kunstvollen Tempietto in der Kathedrale
von Lncca. Schon im Mittelalter war
der Volto Santo mit werthvollem Zicr-
rath geschmückt. Roch heute trägt er eine
mit Edelsteinen besetzte goldene Krone, um
den Hals hat er werthvolles Geschmeide,

’) und neulich erweitert im Jahresbericht der
Görres-Gesellschast für 1901, S. 43. A. d. Red.
 
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