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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 21.1903

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Nr. 1
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Schermann, Max: La Sainte Chapelle de Paris und die französische Gothik, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15936#0011

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von demselben Meister Peter von Mon-
terean, zeigt sie uns die merklichen Unter-
schiede, die sich innerhalb fünf Jahren
beim gleichen Künstler herausbildeten. In
St. Chapelle herrscht dagegen die schönste
Harmonie in ihren einzelnen Theilen.

In die untere Kapelle (Abbildg. 2), die
zunächst für die Hoflente bestimmt mar und
l360 durch Papst Johann XXI!. als
Pfarrkirche für den Palast angewiesen
wurde, tritt man zu ebener Erde durch
eine Vorhalle, die auch dem oberen
Stockwerk vorgelagert ist. Ihrer origi-
nellen Anlage entsprechend dient nun diese
Kapelle — das ist bei ihrer Venrtheilung zu
berücksiä tigen — offensichtlich dem Zwecke,
der für den Gebrauch des Hofes be-
stimintcn oberen Kapelle ein festes Fnn-
dainent und eine helle, würdige Lage zu
geben. Die Länge und Breite ist die-
selbe, wie die der oberen, auch schließt sie
in ähnlicher Weise mit einem Polygonen
Chorranm ab, die Höhe dagegen eine iveit
geringere, nur ca. 7 m.

Da aber ein so stark gedrücktes Ge-
wölbe, nne es die Abbildung zeigt, ohne
alle stützenden Seitenschiffe keine große
Festigkeit gewährleistet hätte, und da
andererseits die geringe Höhe des unteren
Baniverks eine seitenschisfige Anlage nicht
erlaubte, so hat der Künstler die Idee ge-
faßt, knapp vor den Seitenmanern in
einer Entfernung von nur 3',2 Fuß eine
Reihe von niedrigen monolithen Sänlchen
mit zierlichen Blätterkapitälen anfznstelten,
ivelche die Rippen und Spitzbogen des
scheinbaren Hanptgewölbes palmblattartig
ans sich entlassen; die Mauern sind an
der betreffenden Stelle durch Halbsänlen
verstärkt, mit denen sich kleine Strebe-
pfeiler in die Aufgabe theilen, dein Druck
der kühnen Bogen zu begegnen. Jedes
dieser sogenannten drei Schiffe hat sein
eigenes Kreuzgewölbe, dessen Schlußstein
nur 21 Fuß über dem Boden liegt. Alan
begreift also leicht, daß diese schmalen
Seitenschiffe mit einer Wölbung von so
geringer Spannung wesentlich z n r
Stützung des oberen Baues beitragen.
Sie dienen aber auch dem künstleri-
schen Gesichtspunkt, den mittleren Raum
dieser unteren Kapelle im Berhältniß zu
seiner geringen Höhe zu b esch ränken und
angenehm zu gliedern. Außerdem lassen

die Seitenschiffe durch ihre freilich sehr
niedrigen, aber 12 Fuß breiten Fenster,
die sich zwischen den Strebepfeilern öffnen,
in das Innere genügend Licht dringen,
das durch die monolithen Sänlchen nur
wenig gehemmt ist. Dadurch ist eine
eigenthümlich gedämpfte, malerische Be-
leuchtung erzielt, welche die graziöse Wir-
kung der Architektur zweckmäßig begleitet.

Wir steigen in die darüber liegende O b c r-
kirch e (Abbildg. 3) — ein Meisterwerk von
Eleganz und Grazie. Kein Wunder, daß
sie es schon so manchem deutschen Kunst-
verständigen. angethan hat, und wir werden
Springer (Grundzüge der Kunstgeschichte
S. 207) beistimmen, der in einer kurzen
Notiz von ihr sagt, daß in ihren Glie-
dern 1111b Ornamenten die Gorhik ihre
höchste Vollendung feierte. — Der Blick
durch.das Innere der bis zllin Schluß-
stein 60 Fuß hohen Kapelle ist durch kein
Sänlchen gestört; leicht und elegant er-
hebt sie sich, doppelt so hoch als breit.
Man glaubt in einem Glasgebäude zu
stehen, so leicht sind die Wände gehalten:
der Künstler ist mit dem Material außer-
ordentlich sparsam umgegangen. Ans-
schließlich sind es Bündelpfeiler, nur 4 Fuß
breit, ans schlanken Sänlchen zusammen-
gesetzt, welche 42 Fuß hoch aufsteigen,
zwischen denen über außerordentlich feiner
Arkatnr die gewaltigen Fenster (15 m
hoch und 2'/» m breit) den ganzen Raum
einnehmen. Darstellungen menschlicher
Köpfe verzieren die Schlußsteine der Ge-
wötbe. Das Gebäude ist also ans beut
Gerüst schlanker, senkrechter Stützen ge-
bildet, — ein ungewöhnlich geistreicher
Einfall. Und doch ist die durch die
Glasfülle bedingte Leichtigkeit nicht über-
trieben, da sie in wohlthnendster Weise
durch die geschickte und zweckmäßige An-
wendung der Farbe gehoben rvird.
Das Element der Farbe verbindet die
durchsichtigsten und nndnrchsichtigsten Theile.
Wir erinnern uns hier daran, daß ja die
Architektur des Mittelalters in umfassender
Weise von der Polychromie Gebrauch
machte (vgl. Lübke, Geschichte der Plastik,
II. Bd. (1880) S. 449 ff.), ivie schon
in der altchristlichen Epoche und bei
den Byzantinern das ganze Innere
der Kirchen mit bunter Marmorvertäfe-
rung uild Mosaiken ans Goldgrund be-
 
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