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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 21.1903

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Nr. 4
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Damrich, Johannes: Wie A. Dürer das Beten dargestellt hat, [1]: eine Studie
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https://doi.org/10.11588/diglit.15936#0045

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der Betrachtung des Leidens Jesu und uoit
dein Verlangen, mit dem Erlöser gekreuzigt
zu sein, ist der Heilige ins ,Uuie gesunken,
vor seinem verzückten Geiste schwebt der
gekreuzigte Seraph, von bcm Strahlen
nach seinen Händen und Füßen hin aus-
fahren. Das Ekstatische liegt sonst nicht
in Dürers Art, aber besonders, weint wir
die theatralischen oder schwächlich-süßlichen
Darstellungen dieses Themas aus der
späteren und vielfach auch ans unserer
Zeit danebenhalten, fühlen wir, welch'
eminente, überzeugende, innere Wahrheit
und welche Kraft und Gluth in die ein-
fachen Linien dieses Holzschnittes gebannt
sind.

Als Meisterwerk feiner stecherischer Be-
handlung galt von jeher der bekannte
Kupferstich des betenden hl. Antonius
vom Jahre 153 9 mit der Silhouette Nürn-
bergs im Hintergrund. Dieser Stich ist
auch ebenso ein Meisterwerk feiner psycho-
logischer Charakteristik. Hier ist das Beten
ein ganz anderes, als etwa bei dem oben
genannten hl. Franziskus. Dieser hl. An-
tonius betet nicht, weil das überwallende
Gefühl ihn dazu drängt, er betet im Ge-
horsam. Hier am Nain, fern noch vom
Getöse der Stadt, in die er nachher wan-
dern soll, hat er sich niedergesetzt, um ein-
sam und ungestört digne attente ac de-
vote sein Breviergebet zu verrichten. Mit
welcher Aufmerksamkeit ist er in seine
Lesung vertieft! „Daß jemand vollständig
von dem hingenommen wird, was er liest,
kann nicht anschaulicher vorgestellt werden,
als wir es bei diesem über sein Buch vor-
gebeugten Mönch sehen." ') Man hat nicht
mit Unrecht darauf hingewiesen, wie die
gespannteste innere Aufmerksamkeit auf
das Gelesene sich sogar in der Haltung
der Finger äußert, ja selbst in dem un-
willkürlichen Spiel der Zehen sich zu er-
kennen gibt. Das reiche Bild des alten
Nürnberg bildet einen prächtig kontrasti-
renden Rahmen zu der Figur dieses beten-
den Mönches, in dem sich die tiefste innere
Sammlung ausspricht.

Kaum irgendwo aber zeigt sich Dürer
sosehr als Kenner des Menschenherzens,
als in dem Kupferstich vom verlorenen
Sohn. Die Scene, ein mittelalterlicher

M Zucker, Mbrecht Dürer, pag. 115.

deutscher Bauernhof, ist mit rücksichtslosem
Realismus geschildert, auch der Dünger-
haufen mit dem scharrende» Huhu und die
Jauchenpfütze mit der schlürfenden Ente
sind nicht vergessen, und im Vordergrund
drängen und stoßen sich eine Schaar bor-
stiger Säue mit guikenden Ferkelchen um
den Fnttertrog. Und inmitten dieser Thiere,
die eben jetzt am viehischsten sich gebärden,
der verlorene Sohn! Die Erkenntnis;, wie
tief er gesunken, sie schneidet ihm bitter
ins Herz, die Gnade hat ihn erfaßt, es
hat ihn niedergedrückt aufs Knie, und seine
Hände — man sieht wohl, sie sind es
nicht mehr gewöhnt — haben sich gefaltet,
llm sein Auge zuckt es und aus seiner
Seele quillt das Gebet: „Vater, ich habe
gesündigt vor dem Himmel und vor dir,
ich bin nicht mehr werth, dein Sohn zu
sein". Wie das Wehen der Gnade gleich
einem Frühlingsstnrm über die in den
eisigen Banden der Sünde gefesselte Seele
befreiend und erlösend hereinbricht und in
einem Augenblick einen neuen, besseren
Menschen schafft — diesen rein seelischen
Vorgang hat keiner so tief erfaßt und
wiedcrgegeben als Dürer. Noch mehr!
Das ganze, ergreifende Seelendrama, wie
es uns die heilige Schrift schildert, liegt
in dieser Gestalt des verlorenen Sohnes
vor uns aufgerollt. In diesen verwilder-
ten Zügen steht deutlich die Geschichte der
früheren Verirrungen geschrieben, wir sehen
die innere Umwandlung gleichsam vor un-
seren Augen sich vollziehen, und die Be-
kehrung — das sagt uns ein Blick in
diese Seele, die offen vor uns daliegt —
ist eine aufrichtige, entschiedene, gründliche.
Nicht blos die äußere Hülle des Gleich-
nisses ist hier wiedergegeben, hier leuchtet
auch dessen Kern hindurch: das ist der
s ü n d i g e M e n s ch, wie er sich in ren-
müthigem Gebete wieder zu Gott wendet.

Das Thema vom verlorenen Sohn hat
sich in der Malerei aller Zeiten bis ans
unsere Tage großer Beliebtheit erfreut
und ist unzählige Male dargestellt worden.
Den einen Künstler lockte es, die Ver-
irrungen des verlorenen Sohnes oder das
Versöhnungsmahl in üppigen, glühenden
Farben zu schildern, einem anderen schien
dieses Gleichniß erwünschte Gelegenheit zu
bieten, das Leben und Treiben seiner Zeit
überhaupt in einer Reihe Hunter Bilder
 
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