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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 21.1903

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Nr. 5
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Rohr, Ignaz: Ein Umschwung in der Wertung Fiesoles
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https://doi.org/10.11588/diglit.15936#0055

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16

teils voll Wehmut und Mitleid üt die
Tiefe der Schmerzen, die der Herr duldet,
teils voll Innigkeit und Dank in die
Größe der Liebe, die er uns dadurch be-
ivieseu.

Noch einfacher und noch sprechender
ist die Geißelung wiedergegeben in San
Marco Zelle 27: Die Geißelknechte fehlen
vollständig. Die Anmutung ist wieder
vertreten durch Maria und Dominikus,
wird aber in letzterem sofort zur An-
wendung, denn während Maria mit aus-
gebreiteten Armen den leidenden Sohn
beweint, geißelt Dominikus sich selbst.

Im selben Sinne ist die Kreuzigung
dargestellt im Klosterhof zu San Marco.
(Rothes Tfl. I.) Diesmal sogar nur zwei
Figuren: Christus am Kreuz und der
hl. Dominikus zu dessen Füßen kniend
und es umarmend, aber mit so viel Lei-
dens- und Opferwilligkeit in der ganzen
Stellung und soviel Teilnahme, Ver-
ehrung, Dank und Hingebung im Antlitz,
daß jeder und insbesondere ein Domini-
kaner Stoff zur Betrachtung in Hülle und
Fülle fand, auch ohne Juden und Scher-
gen, fromme Frauen und römische Sol-
daten.

Alan hat allerdings noch einen andern
Grund für diese Einschränkung in der
Darstellung der Marterscenen geltend ge-
macht: die richtige Erkenntnis des frate,
daß bewegte, lebhafte Vorgänge und hef-
tige Affekte über sein Können hinans-
gehen. Nun läßt sich gewiß nicht be-
streiten, daß Scenen der letztern Art uns
in. seinen Werken selten, ja fast nie be-
gegnen. Er kennt die Wallungen des
Gemütes; aber Ströme von Blut, Akte
der Noheit, einen daS Haar zerraufenden
Schmerz, eine in Lnftsprünge sich äußernde
Freude, sucht man bei ihm vergebens.

_ Freud und Leid läutert und reinigt,
veredelt und verklärt er, weil er mit seiner
aszetischen Durchbildung sie nicht anders
kennt. Daß nicht das Unvermögen seiner
Kunst ihn von physisch und psychisch be-
wegten Begebenheiten abhielt, zeigt zur
Evidenz das letzte Gericht in den Uffi-
zien (Rothes Tfl. IX), (Beissel S. 61)
oder im Berliner Museum (ci. a. O. S. 55).
Welch' stürmischen Ausdruck geben dort
die Verdammten der Rene, dem Entsetzen,
der Verzweiflung! Mit welcher Eile

treiben die Teufel ihre Opfer zusammen!
Wie raufen und ringen sie mit ihnen!
Wer trotz der Flucht der Erscheinungen
all' dies so anschaulich, naturwahr und
ergreifend schildern kann, der hat sich ge-
nügend ansgewiesen über seine Fähig-
keit, Bewegung, Hast und Aufregung zu
malen.' Wenn er aber nur das eine oder
andermal Proben davon gibt, so bekun-
det er damit allerdings verständlich genug,
daß Gemütstiefe, innere und innige Selig-
keit, daß stilles, ergebenes Dulden und
Leiden ihm von Haus aus oder vermöge
aszetischer Schulung und Selbstzucht oder
aus beiden Gründen zumal näher liegen.
Der Steifheit und Starrheit, der Ein-
förmigkeit und Schablonenhaftigkeit ver-
fällt er noch lange nicht. Man betrachte
einmal auf beut Mittelstück das hehre,
weihevolle Gottanschauen der Seligen zu
seiten des Richters und halte daneben
die Gruppen der Auferstehenden: wie die
einen in das neue Leben, in den neuen
Tag hinein und zu dem hinaufblicken, der
ihn geschaffen, wie hier ein Engel seinen
ehemaligen Schutzbefohlenen begrüßt, ein
andrer den seinen umarmt, ein dritter
ihm den Weg nach oben weist, ein vierter
ihn emporträgt, wie ein Mönch eine Frau
bewillkommt, zwei Freunde Arm in Arm
zum Herrn hinansteigen, man vergleiche
die Scharen der Seligen auf dem rechten
Flügel des jüngsten Gerichts (im Museum
zu Berlin), wie sie emporwallen, der
Seligkeit entgegen, in welch' harmonische
Gruppen sie sich zusammenschließen und
auflösen, wie sie gleiten und schweben,
mit welcher Anmut sie den himmlischen
Reigen führen — wer all' das so
wahr und doch gehoben, natürlich und
doch verklärt schildern kann, der muß
das Leben beobachtet und belauscht und
ihm die Gesetze der Anmut und Bewegung
abgesehen haben. Und daß er wirklich aus
dein Individuellen das Universelle, ans
den Details den Gesamteindruck herauS-
gezogen, das lehrt die Genauigkeit und
Natnrmahrheit, mit der er das Unsichere
und Tastende im Gang und der Haltung
des Blinden, das Neckische und Neugierige
der Kindesnatur, die Sicherheit des pro-
fessionsmäßigen und die Unsicherheit des
verschämten Bettlers darstellt (Laurentius
verteilt Almosen an die Armen; Kapelle
 
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