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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 21.1903

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Nr. 10
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Reiter, Joseph: Zu den Wandmalereien von Neckarthailfingen
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https://doi.org/10.11588/diglit.15936#0119
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107

Kirche zu Neckarthailfingen, OA. Nürtingen.
Unter den Zeichnungen, welche bcigegeben
sind, stehen cm erster Stelle sieben Me-
dnillons nnt Tiergestalten: Adler, Phönix,
Elefant, Pelikan, Taube, Lamm. Es
wird bemerkt, daß es sich hier um be-
kannte Symbole handle, daß aber die
Nummern 1 c und 1 d (=3 und 4) noch
nicht erklärt seien.

Suchen wir dieselben kurz zu erklären.

Medaillon 1 c (= 3) zeigt einen Vogel,
welcher sich merklich von Adler und Taube
unterscheidet, dagegen mit Phönix und
Pelikan Aehnlichkeit hat. Derselbe bückt
sich nieder und scheint eben von den: Aste,
auf welchem er steht, einen Zweig zu
brechen. Allem nach haben wir hier eine
Anspielung auf die Sage, welche W.
Menzel in seiner Symbolik bei dein Worte
Phönix mitteilt, und welche auch hier auf-
geführt werden soll, da sie geeignet ist,
ans das Ganze einiges Licht zu werfen.

„In der Mitte des Paradieses standen
die wunderbarsten Bäume der Welt, der
Baum der Erkenntnis und der Baum des
Lebens. Von diesenc zu essen, war den
Menschen erlaubt; von jenem zu kosten,
war um ihrer Kindheit willen verboten.
Der einzige Phönix, damals noch der
König des ganzen gefiederten Reiches, er
nur nistete in diesen Zweigen und aß von
ihnen unsterbliche Götterspeise. Als Eva
lüstern zum Baum der Erkenntnis trat
und kosten wollte, da war's, als furchtbar
ans den: Baum der geflügelte Zeuge der
Wahrheit seine Stimme erhob und also
sprach: „Betrogene, wo irrest du hin?

Was zu erblicken öffnest du die Angen?
Dich nackt zu sehen, wirst du weise; dich
arm zu fühlen, willst du Göttin werden!"

Aber Evas Blick hing an der täuschen-
den Frucht und am listigen Verführer;
sie nbertrat des Herrn Gebot und hörte
des weissagenden Vogels Stinune nicht.
Als über alle Geschöpfe des Paradieses
der Tod kam, sonderte Gott den treuen
Vogel aus, fortan ans ewige Zeit ein
Zeuge der Wahrheit. Zwar mußte auch
er mit allen Lebendigen den Sitz der Un-
schuld räumen; König der Vögel, die jetzt
einander bekriegten, wollte er selbst nicht
mehr sein; seinen einst glücklichen, ruhigen
Thron nahm ein Raubvogel ein, der blut-
gierige Adler. Auch die Unsterblichkeit

konnte ihm fortan iu der dickeren, giftigen
Erdenlnft anders nicht als durch Ver-
wandlung werden. Aber durch eine Ver-
wandlung, die nach Jahrhunderten erst,
und schnell und herrlich dann ihn wieder
verjüngt. Wenn seine Stunde nahet, ist
ihm vergönnt, ins Paradies zu fliegen;
vom Baum des Lebens und voni Er-
kenntnisbaum bricht er sich dort die dürren,
alten Zweige, in deren Flamme sich seine
Glieder lösen. Die Zweige vom Baume
der Weisheit bringen ihm Tod, die Flamme
vom Baume des Lebens neue Jugend.
Dann zieht er ivieder iu seine Wüste zu-
rück und trauert um das Paradies; der
schöne, einzige, selten gesehene, noch seltener
befolgte Vogel unsterblicher Wahrheit."

Diese Sage hat wohl den Stoff ge-
liefert zu den Bildern ans den Medaillons
I b und 1 c, vielleicht auch zu deni Me-
daillon 1 a.

Bei 1 c sammelt der Phönix die Ziveige,
bei 1 b ersteht er sterbend zu neuem Leben,
während in Medaillon t a der Adler an
die Psalmstelle erinnert: »Ueaovabitur
ut aquilae juventus tna.« — „Erneuern
wird sich dem Adler gleich deine Jugend."
(Psalm 102, 5.)

Wir hätten also hier Gedanken an Tod,
Auferstehung und Himmelfahrt, es ist, als
würde es uns ans den Zeichen entgegen-
tönen: „Die Erlösung ist vollbracht, der
Tod in den Sieg verschlungen. Nun mag
der Sieger ans verjüngten Adlerschwingen
seinen Sonnenflug nehmen, ans den Fitligen
tragend die in der Vorhölle gemachte Beute."

In dem mittleren Medaillon l d (— 4)
erblicken wir den Elefanten, welcher in
der frühesten Zeit die Volksphantasie
mächtig angeregt zu haben scheint. Was
soll sein Bild bedeuten? Vielfach gilt der
Elefant als Sinnbild der Erde, weil
sein Körper eine große, plumpe Masse ist;
auch als Sinnbild der Wachsamkeit wird
er betrachtet, „weil er zum Schlafe sich
nie niederlegt". Desgleichen ist er ein
Sinnbild der Sanftmut und Keuschheit.
»Elephas, cujus os est ebur, castum
est animal.... et frigidae naturae
Significat autem sanctos et castos a telis
diaboli invulnerabiles.« (Honorius Au-
gustodunensis.) Würden wir nun im
Hinblick hierauf den Elefanten einfach
als Tugendsynibol ins Auge fassen, dann
 
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