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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 22.1904

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Nr. 1
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Reiter, Joseph: Das Kirchlein zu Kentheim im Oberamt Calw, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15937#0016

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4

Das Kirchlein 311 Kentheim im
Oberamt Cialw.

Von Pfarrer Reiter.

(Schluß.)

lieber dem Bilde die Legende: das
ist St. Kentus. (Bergt. „DiS ist faul
meinratz brnn ze cinsidl 1460". Gesch.
des Benediktinerstists Einsiedeln von Odilo
Ningholz.) Ans der Epistelseite gewahren
wir wieder den hl. Kentus mit Bischofs-
stab und Mitra, diesesmal in gefährlicher
Gesellschaft. Zwei Figuren, von welchen
eine an die „Fastnachtsschandle" in Rottweil
erinnert, sind bereit, den Heiligen zu er-
greifen oder zu töten, eine kehrt schon das
Schivert gegen ihn, während ein dritter
Mann, ohne Kopfbedeckung, den Eindruck
erweckt, als wolle er den Bischof vertei-
digen. Legende oben: .... matter vnd
.... sein leben — heißt es in der Fort-
setzung auf bent Felde der Südseite, wo
eigentlich sein Sterben dargestellt ist. Der
Bischof liegt in seinem Ornate da, ein
Scherge sticht in seine Brust, ein anderer
hat einen Dolch erhoben und ein dritter
holt mit einem Schwerte zum Schlage
gegen ihn ans. Was für ein Kentus das
sei, welcher in diesen Bildern vorgeführt
wird und nach dessen Namen Kentheim
wohl schon im 14. Jahrhundert St. Kenten
genannt worden ist, vermögen wir nicht
zu sagen. Kein einziges Werk, das wir
befragen, gibt uns befriedigenden Auf-
schluß, sei es, daß wir St. Cantins (nur
Märtyrer) oder St. Kentigerns (Bischof,
nicht Märtyrer; Patron von Glasgow;
Wunder bei der Zelebrati0n der
hl. Messe), oder St. Candidus in Be-
tracht ziehen. Unter den 23 heiligen Can-
didus, welche Stadler in seinem Lexikon
nennt, finden wir einen Bischof von Tongern,
welcher kein Märtyrer ist, und einen Erz-
bischof von Rheims, dessen Existenz an-
gezweifelt wird. Wir halten es gar nicht
für unwahrscheinlich, das; bei unsern Ge-
mälden Züge aus der Legende von ver-
schiedenen Heiligen verwertet worden sind.

Auf der zweiten Hälfte der südlichen
Chorwand stoßen wir auf eine etwas be-
fremdende Darstellung. Zwei gabelartige
Ständer tragen in der Gabel eine Quer-
stange, an welche eine weibliche Figur
angenagelt ist. Das Haupt derselben von

einem Nimbus umgeben und mit einer
dreizackigen Krone geschmückt, das Kinn
bartlos, der Oberleib nackt, etwas ober-
halb der Lenden beginnt das Gewand,
die Füße scheinen nebeneinander auf dem
Boden zu stehen. Rechts von der Ge-
kreuzigten eine Gestalt, welche die Hand
gegen sie führt, links eine Spottfigur, un-
natürlich verrenkt. Außerhalb des Gerüstes
oder Galgens wieder zwei Männer, von
welchen der eine mit beiden Händen auf
das Schauspiel hinweist, der andere,
welcher eine Krone trägt, mit dem Zeige-
finger der linken Hand einen ähnlichen
Gestus macht. Welche Bewandtnis hat es
mit dieser Komposition? Welche Heilige
ist als an das Kreuz geheftet zu betrach-
ten? Diese Frage war früher leicht zu
beantworten, da eine Legende in Minuskel-
schrift hierüber Auskunft erteilte. Jetzt
stehen über dem Gemälde nur noch die
Worte .... ter vnd ir leben .... Die
anderen Worte, welche in der Leibung
des südlichen Fensters angebracht waren
und den Namen nannten, sind jetzt ver-
schwunden. Man hat nämlich das Fenster,
wohl in der Absicht, damit für den Spieler
des in der Nähe aufgestellten Harmoniums
mehr Licht in den Jnnenranm dringen
kann, das fragliche Fenster erweitert oder
erbreitert, und deswegen ein Stück von
der Wand, an welcher sich das Gemälde
mit seinerLegende befand, herausgenommen.

Wir sind mithin bei unserer Frage auf
Vermutungen angewiesen. Die Heiligen-
legende verzeichnet etwa 3 weibliche Heilige,
welche gekreuzigt worden sein mögen: die
hl. Jungfrau Julia, Märtyrin in Kor-
sika, die hl. Jnlitta, Märtyrin in Cäsarea,
und endlich die hl. Kümmernis oder
Wilgefortis. Unser Bild scheint nun auf
keine dieser Heiligen recht zu passen; zieht
man aber die gekrönte Figur rechts vom
Beschauer in Betracht, dann will sich doch
immer und immer wieder der Gedanke
anfdrängen, daß wir es hier wahrschein-
lich mit einem Kümmernisbild werden zu
tun haben. Ilnd wenn Dr. Schnürer in
seinem Aufsatz über die Kümmernisbilder
besonders hervorhebt, daß dieselben gerne
an den Handelsstraßen von Deutschland
nach Italien angetroffen werden, so würde
auch noch dieser Umstand ein Moment
abgeben, das unsere Bermntuug zu unter.
 
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