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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 22.1904

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Nr. 3
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Kleinschmidt, Beda: Das Rationale in der abendländischen Kirche, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15937#0047

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26

hier uou dem metallischen Rationale die Rede zn
sein. Würde nun auch das Rationale hier zum
erstenmal genannt, so tritt es doch anscheinend
nicht als eine ganz neue, bisher unbekannte Jn-
signie des Bischofs auf. Man wird daher seine
Entstehung bis an die Grenze des 10. Jahr-
hunderts zurückdatieren dürfen, was mit de»
liturgischen Bestrebungen jener Zeit durchaus in
Einklang steht.

Ein deutsches Bistum bietet uns indes ein noch
älteres Zeugnis für den Gebrauch des Nationale
in der abendländischen Kirche als genanntes
Sakramentar. Bischof Adalbero II. uon Metz
(984—1005) ersucht nämlich den Bischof Hild-
ward von Halberstadt (968—995), ihm das Pri-
vileg des Nationale mitzuteilen, das d e r H a l b e r-
städter Kirche durch Papst Agapit II.
(946—955) verliehen sei.') Mit dieser Nach-
richt kommen wir also bereits an die erste Hälfte
des 10. Jahrhunderts. Es könnte zweifelhaft
sein, ob die Kirche das metallische oder das stoff-
liche Rationale vom Papste erhalten habe; nach-
dem aber nachgewiesen ist, daß die Kirche von Rietz
im Besitze der stofflichen Jnsignie gewesen, kann
wohl kein Zweifel über die gleiche Beschaffenheit
der Halberstädter Jnsignie obwalte». Rietz
übernahm von Halberstadt die dort gebräuchliche
Jnsignie und bewahrte ihr Andenken wenigstens
in einer treuen Abbildung. Das; die Verleihung
des Nationale an die deutsche Kirche durch Papst
Agapit das erste Privileg dieser Art gewesen,
ist wohl kaum anzunehmen. Wir gelangen also
auch hier bis zur Wende des 9. Jahrhunderts
als der Entstehungszeit unserer Jnsignie.

4. Ursprung.

Die Frage nach dem Ursprünge des Nationale
führt uns zu dem dunkelsten Punkte in der Ge-
schichte unseres Ornatstückes. Formulieren wir
unsere Frage genauer, so wird sie lauten: von
welchem Ornatstücke leitet das Rationale — so-
wohl das metallische wie stoffliche — seinen Ur-
sprung ab, von einem levitischen oder von einem
profanen? Und welches war zugleich der Grund,
es unter die bischöfliche» Insignien aufzunehmen?

Hören wir darüber zunächst die bisher ver-
tretenen Ansichten. Bock hat in seiner Geschichte
der liturgischen Gewänder zum erstenmal dein
Ursprünge und dcr Beschaffenheit des Rationale
eine genauere Untersuchung gewidmet. Er ge-
langte zu dem Resultate, das Nationale der deut-
schen Bischöfe sei als eine Nachbildung des alt-
testamentlichen Superhumerale zu betrachte», der
damit in Verbindung stehende Brustschild sei bei
dem neutestamentlichen Ornatstücke in Wegfall
gekommen?) H e f e l e hat ihm darin beigestimmt,
auch ihm erscheint das Rationale offenbar als
eine Nachahmung der alttestamentlichen, hohen-
priesterlichen Jnsignie;") ebenso hält Macalistcr
das Rationale für eine direkte Nachahmung der
aaronischen Brustplatte?) Nach O t t e ist es

’) Jafle - Lüwenfeld, Regesta l’ontificiim
n. 3661.

a) Bock, Gewänder II, 194.

*) Beiträge zur Kirchengeschichte u. s. n>. II,
(1864) 218.

•') Veslemenls ecclesiasti al (London 1896).

gleichzeitig eine Nachbildung des jüdischen Ephod
und Koschen (Rationale und Superhumerale)?)
Kraus hat sich dahin ausgesprochen, „das im
12. und 13. Jahrhundert als Jnsignie einzelner,
besonders deutscher Bischöfe auftreteude Nationale
sei eine Nachbildung des alttestamentlichen Ephod
gewesen".") P. Brau» sagt gleichfalls, das
Rationale „habe der Erinnerung an das Schulter-
gewand und den Brnstschmnck des Hohenpriesters"
seinen Ursprung zu verdanken, außerdem aber
auch dem „Bestreben, eine wirkliche oder ver-
uieintliche Stellung in der hierarchischen Ordnung
durch ein Abzeichen zu manifestieren".") Stimmen
all' diese Autoren auch im wesentlichen überein,
so weichen sie doch im einzelnen nicht unbedeutend
von einander ab.

Eine ganz andere Erklärung hat Barbier de
Montault versucht; er sieht in dem Nationale
nichts anderes als eine Abart des päpstlichen
Fanon oder Orale, 4) eine Ansicht, die von Cers
wiederholt ist; auch Rohault de Fleury scheint
diese Ableitung anzunehmen") Sie ist indes,
um uns sofort mit ihr abzufinden, durchaus un-
haltbar; sie verkennt durchaus die Gestalt und
die Bedeutung des Orale; dieses war zwar ein
Schnltergewand, aber es vertrat nur die Stelle
des Amiktes und bildete ein eigenes Gewandstück
des Papstes; als Pototyp des bischöflichen Ratio-
nale kann es unmöglich angesehen werden.

Zu einer dritten Erklärung hatte 1\ Martin
Veranlassung gegeben; er geht aus von der Tat-
sache, daß die griechischen Kaiser in Byzanz häufig
an der Tunika und zwar auf der Brust eine aus
zwei parallelen Streifen bestehende Verzierung
tragen; diese Streifen laufen von oben nach
unten?) Man sieht sie z. B. auf dem Pracht-
stoffe, der tut Grabe Günthers von Bamberg
gefunden wurde?) Diese Verzierung soll eine Er-
innerung an die Riemen auf dem römischen
Brustharnische sein, später soll sich daraus die
genannte Verzierung der griechischen Tunika ent-
wickelt haben, aus der dann allmählich das Ra-
tionale hervorging. In einem ähnlichen Sinne
hat sich kürzlich Wilpert in seiner verdienstlichen
Studie über das Pallium geäußert?) Er er-
innert daran, wie seit deni 4. Jahrhundert an
der antike» Tunika die erwähnten Streifen vor-
kommen, welche an Stolle der bis an den Saum
reichenden Klavi unter dem Namen Lorum
treten. Mit diesem Loruin waren nicht selten
runde Purpurstreifen ans den Achseln verbunden,
ivie man auf altchristlichen Darstellungen häufig

') Kunst-Archäologie I ;5. Ausl.) 281.

") Geschichte der christl. Kunst II, l, 497.

") Zeitschrift für christl. Kunst XVI (1903) 123.
Dieser Aufsatz hat zum erstenmal das Rationale
an der Hand der Monumente eingehend besprochen
und manches Licht gebracht. Unsere Studie dürfte
aber auch jetzt noch nicht überflüssig sein.

4) Bulletin monumental 1. c. p. 635.

") La Messe VIII, 09. Cerf, 1. c. p. 234.

“) Melanges d’archeologie II (Paris 1851) 256.
Anm. ®ergl. Nouveaux melanges (I v o i res 1874)
p. 185.

7) Abbild, bei Kraus a. ». O. I, 566,

s) Un capilolo p. 20',
 
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