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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 22.1904

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Nr. 8
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Kleinschmidt, Beda: Das Rationale in der abendländischen Kirche, [6]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15937#0102

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stellungen sind vier Engel- und Evangelistensym-
bole mit Spruchbändern angebracht. Die vier
Behänge sind mit je drei gestickte» Halbfiguren
der Apostel verziert, die in antiker Tracht unter
einer Rundung stehen. Auf der Vorderseite ist
eine eigentümliche Darstellung gestickt. Sie wird
von einem auf Säulen ruhenden romanischen
Tempelbau eingenommen; darin sicht man die
Muttergottcs, i» jeder Hand ein Spruchband
haltend; zu ihren Fußen stehen zwei Frauen mit
gekreuzten Armen, von rechts kommen in demütiger
Haltung zwei weibliche Personen, links steht ein
Heiliger mit einem Buche, lieber dieser Dar-
stellung ist der Heiland als Halbstgur gezeichnet
über einer Estrade, zu der von beiden Seiten
ein Aufstieg führt; letzteren betreten zwei männ-
liche Figuren. ■— Als Schuegraf dieses interes-
sante Superhumerale sah, hingen an demselben
noch an allen Seiten silberne und goldene Glöck-
chen; heute sind sie big auf drei verschwunden.

Die beiden Stücke sind verbunden durch zwei
kreisförmige Achselblätter, die in einem Rund-
medaillon auf der einen Seite zwei weibliche, auf
der andern anscheinend zwei männliche Figuren
enthalten; die erstercn kommen sich entgegen und
sind von der llmschrift begleitet: Misericordia
et veritas obviaverunt sibi. Die männlichen Per-
sonen küssen sich, ihre llmschrift lautet: Justitia
et pax oiculatae sunt. Jede dieser Dar-
stellungen ist im Kreise von sechs männlichen
Brustbildern umringt, die durch beigefügte In-
schriften als die Ahnherrn der zwölf Stämme
Israels bezeichnet werden.

Der bereits von Ebner gegebenen Erklärung
dieser Darstellungen kann man im wesentlichen
durchaus beipflichten. „Im alten Bunde trug
das Ephod des Hohenpriesters ans jeder Schulter
einen Onyxstein mit je sechs Namen der Stämme
Israels, die ans den 12 Edelsteinen wiederkehrten.
Der Schmuck des Bischofs, als des neutestament-
lichen Hohenpriesters, fügt zum Typtts noch beit
Antitypus: aus den Schulterstücken sind die zwölf
Stämme vertreten, auf den vorne und rückwärts
herabhängenden Teilen aber die 12 Apostel.
Näher noch ist das Verhältnis des alten Bundes
zum neuen dargeslellt durch die Medaillonbilder
der Achselstücke. Die sich grüßenden und lüssen-
den Gestalten repräsentieren die beiden Testa-
mente, auf welche die Psalmworte (81, I I) gern
angewendet wurden.

Die Vorderseite sodann zeigt, ans einem nlt-
testamentlichen Buche fußend (Cantica) die Liebe
Gottes zu seinem Volke bezw. zur Kirche unter
dem Bilde des Ferculum Salomonis(Cant. 3, 9) mit
silbernen Säulen unb Purpurgrund. Ter König
(auf der Estrade) ist der Heiland, die Königin
aber unter dem Bilde der Snlamit die allerseligste
Jungfrau bezw. die Kirche, unter den demütig
sich neigenden Frauengestalten wird man die „Töch-
ter Jerusalems" (iiliae Jerusalem, Cant. 3, ll) er-
kennen dürfen, während die Apostelgestalten zu
beiden Seiten an die starken Wächter erinnern
(Cant. 3, 7). Die Rückseite endlich schildert die
Vollendung der bräutlichen Liebe des Herrn zu
seinem Volke bezw. zur Kirche auf Grund eines
nentestnmentlichen Buches, der Apokalypse. Hier
thront der Herr in seiner Herrlichkeit, vor ihm das
Lamm, umgeben von den Symbolen der Evan-

gelisten und lobpreisenden Engel." >) Wir werden
auf die Erklärung der Allegorie noch zurückkommen.

Ein Inventar des Regensburger Domes läßt
dies Nationale von „einem Bischof Berchtold von
Eichstatt" (1315—1368) herstammen, der eine
Zeitlang Bistumsverweser von Regcnsburg war
und es bei seinem Weggange in Regensburg zurück-
gelassen haben soll. Diesem Berichte widerspricht
indes die Form des Nationale, welches damals
in Eichstätt noch n i ch t mit ztvei Behängen ver-
sehen war. Eher dürfen wir es mit dem Ratio-
nale in Bamberg in Verbindung bringen; indem der
Regensburger Künstler im allgemeinen der Form
und Ausstattung der Bamberger Vorlage folgte,
gab er dem »eiten Ornatstücke mehr harmonische
Verhältnisse und eine gefälligere Anordnung des
figürlichen Schmuckes.

3. Das dritte heute außer Gebrauch gesetzte
Rationale besitzt jetzt das Nationalmuseum zu
München. In Form und Ausstattung stimntt
es getreu mit dem Regensburger überein, auch tit
den figürlichen Darstellungen herrscht Ueberein-
stimninng, nur in den ornamentalen und inschrift-
lichen Verzierungen weichen beide Exemplare ein
wenig von einander ab. Das Münchener Ratio-
nale gibt als eine Kopie des Regensburger aus
der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, die nach
der gewöhnlichen Annahme Weihbischos Albrecht
Ernst Graf von Wartenberg ungefähr 1668 nn-
fertigen ließ. Prof. Sighart fand das Monument
1868 mit vielen andern Regensburger Antiquitäten
auf dem Schloß Tüßlitig in Oberbayern, von da
gelangte es in das Bayerische Nationalmuseuni.2)

Was die Inschriften anlangt, so ist die Maje-
stas Domini von den Worten umgeben: Arcum
meum ponam in nubibus in signuni foedeiis >li-
ier me et terram. Das Lamm Gottes ist von
den Worten begleitet: Lcce agnus Dei; dignus
est agnus, qui occisus est, accipere librum et
solvere septem signacula. Die Engel und Evan-
gelisten tragen Spruchbänder mit Worteti ans der
Apokalypse und der Liturgie, ivie: Sanetus Deus,
Sanctus Fortis.

1. Der Dom zu Eichstätt besitzt heute noch
ein Rationale atts den Tagen des Bischofs Jo-
hann von Aich (st 1160). In der Gestalt stimmt
es mit bent früher beschriebenen Nationale über-
ein, das jetzt in Eichstätt bei feierlichen Anlässen
gebraucht tvird; in der Ausstattung weicht es
von dem Bamberger und Regensburger Snper-
hnmcrnle sehr ab. Diese Zeit ist der Symbolik
nicht mehr so gewogen, die Gegenüberstellung zu
dem alttestamentlichen Ephod hat anfgehört. An
Stelle der schönen Allegorie sind einfache Ver-
zierungen getreten. Auf den runden Achselstücken
sind die beiden Halbbilder des hl. Bonisatius und
des hl. Willibald gestickt, durch beigefügte Namen
und durch das Wappen von Mainz (Rad auf gol-

') Ebner, Das Nationale im Domschatze zu
Regensburg. Sammclblatt des Histor. Vereins
Eichstätt, VII (1892) 103 ff. Inzwischen habe
ich mich über die Symbolik und das Alter des
Monumentes eingehend im „Kirchenschmuck" (1904)
geäußert.

2) Vergl. Sighart, int „Kirchenschmuck" VI
(1859t S. 89 f. — von W ald ersd ors, Negens-
burg, S. 162.
 
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