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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 22.1904

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Nr. 12
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Bach, Max: Hans Multscher in neuer Beleuchtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.15937#0144

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W i tz in der Basler Festschrift vom
Jahre 1901 van D. Burckhardt.

Schon in der Charakteristik des Konrad
Witz, mit welchem sich Schmarsow zunächst
beschäftigt, sucht er nachzuweisen, daß
dessen Kunst beeinflußt ist von der Stein-
sknlptur seiner Zeit. Staunenswert ist
die Wiedergabe der körperlichen Rnndnng,
die plastische Kraft der Modellierung nicht
nur, sondern auch die Auseinandersetzung
der Dinge im Raum, mit Hilfe der Be-
lenchtung und Schattengebung. Aehnlich
ist es auch bei Hans Mnltscher, der ja
urkundlich speziell als Bildhauer bezeichnet
wird. Ihm dürfen wir aber nicht zu-
gleich die Ausführung der Geinälde zn-
schreibeu, sondern seinem Kompagnon, der
nach den plastischen Entwürfen des Meisters
arbeitete. So hilft sich Schmarsow leicht
über die gefährliche Klippe hinweg, die
jedein eutgegentritt, der sich mit der Doppel-
eigenschaft des Meisters beschäftigt.

Es ist von große»! Interesse, den geist-
reichen Ausführungen Schmarsows zu
folgen. Zunächst gibt er eine allgemeine
Beschreibung des Sterzinger Altarwerks
und urkundliche Nachweise über die Tätig-
keit des Meisters in Ulm und anderwärts.
In den Skulpturen findet er eine Voll-
kommenheit, eine Hoheit in der Auffassung
und Feinheit in der Charakteristik, die
ihresgleichen sucht. „Es sind Ideale
schwäbischer Schönheit mit rundlichem Oval
der Köpfe, lockigem Haar, das in langen
Strähnen über die Schultern rollt, sanft
gewölbten Stirnen, wenig tiefliegenden
Augen, schmaler Nase und kleinem, fein-
geschnittenem Mund über beut zarten Kinn.
Auch sie bewegt eine weiche elegische
Rührung, die bald frenndlicher, bald
schmerzlich um die Lippen zuckt, die Köpfe
leise zur Seite neigt und sogar durch die
Haltung der etwas gedrungenen Gestalten
selbst hindurchzieht." — „Die Drapierung
der Madonna erscheint reicher und tiefer
als jene der Heiligen" mit Recht, wir
haben in der Hiinmelskönigin eben die
höchste Anspannung der Kraft zu erwarten
und finden die Mittel, mit denen die
Steigerung erreicht ist, doch bei den übrigen
schon gelegentlich vor.

Wenn die Skulpturen für eine so frühe
Zeit unser Staunen erregen, so dürfen
nicht minder die Gemälde unter den sicher

datierbaren Schöpfungen der Mitte des
15. Jahrhunderts einen ganz hervorragen-
den Raum behaupten. Beide Bestandteile
des Altars sind einander durchaus eben-
bürtig. Aber gerade deshalb wird man
nicht ohne weiteres annehmen dürfen, daß
Hans Mnltscher, der Bildhauer, auch die
Gemälde gefertigt habe, d. h. auch einer
der größten Maler seiner Zeit geiveseu sei,
ohne daß die lleberliefernng irgend etwas
davon nnißte.

Schmarsow findet nun auch in den
Passionsscenen: dem Gebet auf dein Oel-
berg, dem Zug nach Golgatha, der Geißelung
und Dornenkrönung, deutliche Spuren
eines plastischen Modells, eine geschlossene
Reliefkomposition, die der Maler gleichsanr
nur koloriert hat. Er führt eine Menge
Beispiele an, die den Geist des Stein-
metzen verraten, „der im Zusammenhang
der Banhütte zu arbeiten und alle Bild-
anschannng im harten Material gemeißelt
zu denken gewöhnt ist. Aber auch die
prunkvolleren Bilder der Innenseiten des
Altars erscheinen durchaus plastisch gedacht,
wenn auch hier z. B. bei der herkömm-
lichen Darstellung der Verehrung des neu-
geborenen Kindes in der Hütte, für den
Plastiker Schwierigkeiten entstehen, die für
den Maler leichter zu überwinden sind".
Ganz besonders plastisch aufgefaßt und
unmöglich von einem Maler erfunden
findet Schmarsow die Schwanenflügel des
Engels in der Verkündigung. Auch das
Schriftband mit dem Englischen Gruß
ist nicht malerisch flatternd gedacht, sondern
steht starr in die Lnft hinaus. Auch die
Scenerie beim Tode der Maria ist in
Reliefstil übersetzt und zeugt von ihrenr
Urheber als Plastiker.

Hätten nur in diese»! Gemäldecyklus
nichts anderes vor uns als ein farbigesKonter-
fei von Sknlpturwerken auf den Bildslächen
des Altars, dann bliebe die Ausführung
durch den Meister selbst denkbar; aber
diese Gemälde bieten doch mehr, sie zeugeil
von einer meisterlichen Naturbeobachtiitig
in der Behandlung des Raums, ein Stu-
dium der Perspektive, der Einwirkungen
von Licht und Schatien und dergl., die
jeden Kenner der deutschen Malerei von
1460 in Erstaunen setzt. Wir müssen also
notgedrungen zwei Meister annehmen, einen
Bildhauer und einen Maler; der letztere
 
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