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Archiv für christliche Kunst: Organ des Rottenburger Diözesan-Kunstvereins — 23.1905

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Nr. 8
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Beck, Paul A.: Ueber die sogenannten "Livres d'heures", [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.15938#0089
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78

Da nun' namentlich das Aderlässen
eine gebotene oder verbotene Hauptsache;
dann kam das Baden, damals ein
überaus wichtiger Bestandteil der Lebens-
führung; Speise und Trank und sonstige
menschliche Verrichtungen wurden ange- j
raten oder untersagt, je nachdem die
Monats- und Sternenkonjunktur es zu-
geben wollte oder nicht, denn die Astro-
logie spielte auch in diesen Dingen eine
Hauptrolle. Hierauf folgen die einzelnen
Gebete auf Prim, Terz, Sext und Non,
meist das „kleine Offizium der seligsten
Jungfrau Maria", die Vnßpsaliuen, die
eine und andere Litanei n. s. w. Jeder
Monat ist mit einem großen und mehre-
ren kleinen Bildchen meist ans Pergament
versehen, jeder Teil des Offiziums von
einer Miniatur in gotischem Stil be-
gleitet. Diese Bilder sollten nicht nur
zur Verdeutlichung und Abteilung des
Textes sonne zur Abwechslung, sondern
auch für sich zur Stimmung und Er-
höhung der Andacht dienen.

In den ersten Zeiten dieser Spezialität
der Miniaturkunst waren die Randverzie-
rungen einfach gehalten und bestanden
meist bloß ans goldenem Blatliverk, Ini-
tialen und eingemischten Figürchen. Später
zeigten sich die Ränder mit Arabesken von
Ranken, Blättern, Blumen, Früchten, Per-
len, Muscheln, Edelsteinen, Vögeln, Schmet-
terlingen, Käfern und dergleichen in rei-
zendem, heiterem Anssehen sowie in ge-
nauer naturalistischer Ausführung ge-
schmückt, wobei in manchen Zügen sogar
der Schalk zum Vorschein kommt. Eben-
so zeigte sich in der Anordnung und Ver-
teilung der einzelnen Verzierungen meist
Geschmack. Mit der Zeit kommt auch
etwas landschaftliches Motiv zur Geltung.
Die eigentlichen religiösen Darstellungen
sind in ernstem Charakter gehalten. Die
Durchführung ist natürlich nicht immer
gleich.

Es gab alle Arten solcher Livres
d’heures, vom einfachsten, oft kaum ver-
zierten bis znm kostbarsten und schönst
illuminierten, von der Stümperarbeit bis
znr vollendetsten Knustleistnug, wozu sich
vielfach noch ein prachtvoller Einband
mit Schließen gesellte. Der Luxus der
Vornehmen erforderte eben Gebetbücher
mit reichem malerischem Schmuck. Das I

Format ist immer klein, in der Frühzeit
vielfach Quart, nnd hält sich durchschnitt-
lich in einer Breite von ca. 7—12 cm
und in einer Höhe von ca. 8—15 cm;
später griff man mehr znm Oktavformat
! nnd stieg nicht selten zum Sedez oder gar
zu noch kleinerem Maß herab. Man wollte
handliche kleine Büchelchen, welche überall-
hin mitgenommen werden konnten und
nicht ins Voluminöse gingen. Ebenso war
die Schrift der Gebete zierlich nnd klein;
man suchte eine Fülle von Dingen in engem
Raum zusammenzudrängen. Die Hersteller
dieser »Livres d’heures« arbeiteten meist
mit der Feder (seltener mit dem Pinsel)
und wohl vielfach nach Vorlagen großer
Meister nnd hielten sich als weniger pro-
duktive Geister vielfach au vorhandene
Vorbilder, an traditionelle Vilderreihen,
an Holzschnitte nnd dergleichen. Sie hie-
ßen Jllnministen (Enlumineurs), Jllnmi-
nierer, Jllumineure, Illuminatoren, Bnch-
maler, Schreiber, scriptores n. s. w.
nnd, waren von der eigentlichen Maler-
znnft mehr oder iveniger abgezweigt;
später hieß nnd heißt man derartige Klein-
künstler Miniaturmaler, Miniaturisten rc.

Manchmal, wenn auch nicht gerade
häufig, ließen sich aber die größten Mei-
ster der Malerei herab, für hochgestellte
oder ihnen besonders werte Personen so
ein Gebetbuch mit den Gebilden ihrer
Kunst zn schmücken, welche sich dann
ivürdig an die Seite der ersten Tafelge-
mälde der Zeit stellen.

Diese Art von Kleinkunst wurde haupt-
sächlich auch in Klöstern betrieben nnd
geübt; so bestand, wie ich in der schon
genannten Arbeit a. a. O., S. 66 ff. ans-
geführt, im Ben'ediktinerkloster Wib-
lingen bei Ulm im 15. Jahrhundert
eine eigene Schreib- und Jllnminier-
schule. Ehedem ziemlich weit verbreitet, sind
diese livres rc., zn Anfang des 17. Jahr-
hunderts, als die Bnchdrnckerkunst fast
überall schon Eingang gefunden und
festen Fnß gefaßt hatte, abgekommen.
Wenn auch naturgemäß vieles davon
im Sturm und Braus der Zeiten zn
Grunde gegangen ist, so haben sich
doch verhältnismäßig noch ziemlich viele
— selbstverständlich nur wertvollere und
kostbarere Exemplare, oft von einer bril-
lanten Koloristik, in öffentlichen nnd
 
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